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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Indes erwies sich der Prozentsatz an Patrioten unter den Bolschewiki als geringfügig. Im Gegensatz zu den Narodniki und Menschewiki begannen die Bolschewiki bereits seit dem Jahre 1914 in den Massen schriftliche und mündliche Agitation gegen den Krieg zu entfalten. Die Dumadeputierten erholten sich bald von der Verwirrung und nahmen die revolutionäre Arbeit wieder auf, über die die Behörden dank einem weitverzweigten Provokationssystem sehr genau informiert waren. Es genügt zu sagen, daß von den sieben Mitgliedern des Petersburger Parteikomitees am Vorabend des Krieges drei im Dienste der Ochrana standen. So spielte der Zarismus mit der Revolution Katze und Maus. Im November wurden die bolschewistischen Deputierten verhaftet. Im ganzen Lande setzte ein Vernichtungsfeldzug gegen die Partei ein. Im Februar 1915 fand vor dem Obergerichtshof die Verhandlung gegen die Fraktion statt. Die Deputierten ließen in ihrem Benehmen Vorsicht walten. Kamenjew, der theoretische Inspirator der Fraktion, grenzte sich von der defätistischen Position Lenins ab, ebenso Petrowski, der heutige Vorsitzende des Zentralkomitees in der Ukraine. Das Polizeidepartement stellte mit Befriedigung fest, daß das strenge Urteil über die Deputierten keinerlei Protestbewegung seitens der Arbeiter hervorgerufen habe.
    Es schien, als hätte der Krieg die Arbeiterklasse ausgetauscht. In bedeutendem Maße war es auch so: in Petrograd war der Arbeiterbestand fast vierzigprozentig erneuert. Die revolutionäre Nachfolge wurde schroff unterbrochen. Was vor dem Kriege gewesen war, darunter auch die Dumafraktion der Bolschewiki, trat mit einem Male in den Hintergrund und versank fast in Vergessenheit. Aber unter der unsicheren Hülle von Ruhe, Patriotismus, teils sogar Monarchismus häuften sich in den Massen Stimmungen für eine neue Explosion an.
    Im August 1915 berichteten die zaristischen Minister einander, daß die Arbeiter "überall Betrug, Verrat und Sabotage zugunsten der Deutschen wittern und eifrig nach Schuldigen unserer Mißerfolge an der Front suchen". Tatsächlich geht in dieser Periode die erwachende Massenkritik, teils aufrichtig, teils der Schutzfärbung wegen, nicht selten von der "Vaterlandsverteidigung" aus. Doch ist diese Idee nur Ausgangspunkt. Immer tiefere Gänge bahnt sich die Unzufriedenheit der Arbeiter, die die Werkführer, Schwarzhundertarbeiter, Kriecher vor der Administration zum Schweigen bringt und dem Arbeiterbolschewistenheer das Haupt zu erheben gestattet.
    Von der Kritik gehen die Massen zu Taten über. Die Empörung findet einen Ausweg zu allererst in Lebensmittelunruhen, die mancherorts die Form lokaler Meutereien annehmen. Frauen, Greise, Jugendliche fühlen sich auf dem Markte oder auf der Straße sicherer und unabhängiger als die dienstpflichtigen Arbeiter in den Betrieben. In Moskau artet die Bewegung im Mai in einen Deutschenpogrom aus. Obwohl seine Teilnehmer hauptsächlich dem städtischen Mob angehören, der unter dem Protektorat der Polizei sein Unwesen treibt, so beweist doch schon die Möglichkeit eines Pogroms im industriellen Moskau, daß die Arbeiter noch nicht so weit erwacht sind, um ihre Parolen und ihre Disziplin dem aus seinem Gleichgewicht herausgeschleuderten kleinen Stadtvolk aufzuzwingen. Sich über das ganze Land ausbreitend, beseitigen die Lebensmittelunruhen die Kriegshypnose und bahnen den Weg für Streiks.
    Der Zustrom roher Arbeitskraft in die Betriebe und die gierige Jagd nach Kriegsgewinnen führten überall zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und zum Wiederaufleben brutalster Ausbeutungsmethoden. Zunehmende Teuerung drückt automatisch den Arbeitslohn herab. Ökonomische Streiks werden der unvermeidliche Reflex der Massen, und zwar ein um so heftigerer, je mehr er zurückgedrängt war. Die Streiks werden von Meetings, Verkündung politischer Resolutionen, Zusammenstößen mit der Polizei und nicht selten auch von Schießereien und Opfern begleitet.
    Der Kampf erfaßt zuallererst das zentrale Textilgebiet. Am 5. Juni gibt die Polizei eine Salve auf die Weber in Kostroma ab: 4 Tote, 9 Verwundete. Am 10. August schießen Truppen in Iwanowo-Wosnessensk auf Arbeiter: 16 Tote und 30 Verwundete. In die Bewegung der Textilarbeiter sind Soldaten des Platzbataillons verwickelt. Proteststreiks in verschiedenen Teilen des Landes sind Antwort auf die Arbeitererschießungen von Iwanowo-Wosnessensk. Parallel entwickelt sich der ökonomische Kampf. Die Textilarbeiter marschieren nicht

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