Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Wirtschaftskultur überzugehen, mußte er den letzten Versuch einer Verbreiterung seiner Dreifelderwirtschaft machen. Doch war dies offensichtlich nur auf Kosten der nichtbäuerlichen Ländereien erreichbar. Erstickend in der Enge inmitten der Weiten des Landes, mußte der Muschik unter der brennenden Knute des Fiskus und des Marktes unvermeidlich den Versuch machen, den Gutsbesitzer ein für allemal loszuwerden.
Die Gesamtzahl des nutzbaren Bodens in den Grenzen des europäischen Rußland wurde am Vorabend der ersten Revolution auf 280 Millionen Deßjatinen* geschätzt. Der Boden der Dorfgemeinden umfaßte etwa 140 Millionen, die Kronländereien etwa 5 Millionen, Kirchen- und Klosterbesitz etwa 21/2 Millionen Deßjatinen. Von dem Privatbesitz an Boden entfielen auf 30.000 Großgrundbesitzer, von denen jedem über 500 Deßjatinen gehörten, 70 Millionen Deß-jatinen, das heißt die gleiche Zahl, über die annähernd 10 Millionen Bauernfamilien verfügten. Diese Bodenstatistik bildete das fertige Programm des Bauernkrieges.
Den Gutsbesitzer zu liquidieren, war der ersten Revolution nicht gelungen. Es hatte sich nicht die gesamte Bauernmasse erhoben, die Bewegung im Dorfe fiel nicht mit der Bewegung in der Stadt zusammen, die Bauernarmee schwankte, stellte jedoch schließlich genügend Kräfte zur Verfügung, um die Arbeiter niederzuschlagen. Nachdem das Semjo-nowski-Garderegiment mit dem Moskauer Aufstand fertig geworden war, verwarf die Monarchie jeden Gedanken an eine Beschneidung des gutsherrlichen Bodens und ihrer eigenen selbstherrlichen Rechte.
Jedoch war die niedergeschlagene Revolution keinesfalls am Dorfe spurlos vorbeigegangen. Die Regierung hob die ä- ten Ablösungen auf und eröffnete die Möglichkeit einer breiteren Übersiedlung nach Sibirien. Die erschrockenen Gutsbesitzer machten nicht nur beträchtliche Konzessionen bezüglich des Pachtzinses, sondern gingen auch zum verstärkten Ausverkauf ihrer Latifundien über. Diese Früchte der Revolution nutzten die wohlhabenderen Bauern, die in der Lage waren, gutsherrlichen Boden zu pachten und zu kaufen, erfolgreich aus.
Die breiteste Pforte, um aus der Bauernschaft kapitalistische Farmer auszusondern, öffnete jedoch das Gesetz vom 9. November 1906, die wichtigste Reform der siegreichen Konterrevolution. Indem es sogar der kleinen Bauernminderheit einer Gemeinde das Recht zuerkannte, gegen den Willen der Mehrheit aus dem Gemeindeland einzelne Stücke herauszuschneiden, wurde das Gesetz vom 9. November zu einem kapitalistischen Geschoß, das sich gegen die Dorfgemeinde richtete. Der Vorsitzende des Ministerrats, Stolypin, bezeichnete das Wesen der neuen Regierungspolitik in der Bauernfrage als "Einsatz auf die Starken". Das bedeutete: die Oberschicht der Bauern auf die Aneignung von Gemeindeland durch Ankauf der "befreiten" Abschnitte zu stoßen und damit die neuen kapitalistischen Farmer in Ordnungsstützen zu verwandeln. Eine solche Aufgabe zu stellen war leichter, als sie zu lösen. Bei dem Versuch, die Bauern-durch die Kulakenfrage zu ersetzen, mußte sich die Konterrevolution das Genick brechen.
Gegen den 1. Januar 1916 sicherten sich zweieinhalb Millionen Hofbesitzer als ihren Privatbesitz 17 Millionen Deßjati-nen. Zwei weitere Millionen Hofbesitzer forderten die Aussonderung von 14 Millionen Deßjatinen. Das sah nach einem kolossalen Erfolg der Reform aus. Doch die ausgesonderten Bauernwirtschaften waren in ihrer Mehrzahl durchaus lebensunfähig und stellten nur das Material für eine natürliche Auslese dar. Während die wirtschaftlich rückständigsten Gutsbesitzer und kleinen Bauern intensiv verkauften, die einen ihre Latifundien, die anderen ihre Landfetzen, trat vorwiegend die neue Bauernbourgeoisie als Käufer auf. Die Landwirtschaft ging zweifellos in das Stadium des kapitalistischen Aufstiegs. Die Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus Rußland wuchs in fünf Jahren (1908-1912) von 1 Milliarde Rubel auf 11/2 Milliarden. Das bedeutete: breite Bauernmassen wurden proletarisiert, und die Oberschicht des Dorfes warf immer mehr Brot auf den Markt.
Als Ersatz für die zwangsweise Gemeindebindung der Bauernschaft entwickelte sich die freiwillige Kooperative, der es im Laufe weniger Jahre gelang, verhältnismäßig tief in die Bauernmassen einzudringen, und die sofort Gegenstand liberaler und demokratischer Idealisierung wurde. Die reale Macht in der Kooperative besaßen jedoch nur die wohlhabenden Bauern, denen sie letzten Endes auch zum
Weitere Kostenlose Bücher