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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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wißbegierige französische Gesandte Paléologue unterhielt sich darüber in den Kriegstagen mit dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Kri-woschein, dem ehemaligen Premier Kokowzew, dem Großgrundbesitzer Graf Bobrinski, dem Vorsitzenden der Reichsduma, Rodsjanko, dem Großindustriellen Putilow und mit anderen angesehenen Männern. Dabei wurde ihm folgendes eröffnet: Für die Durchführung einer radikalen Bodenreform wäre die Arbeit eines ständigen Heeres von
    300.000 Landvermessern für die Dauer von mindestens 15 Jahren nötig; aber in dieser Zeit würden die Bauernwirtschaften auf 30 Millionen angewachsen sein und folglich alle geleisteten Berechnungen sich als überholt erweisen. Die Bodenreform war mithin in den Augen der Gutsbesitzer, Würdenträger und Bankiers eine Quadratur des Kreises. Überflüssig zu sagen, daß solche mathematischen Skrupel dem Muschik völlig fremd waren. Er meinte, daß man zuallererst den Gutsherrn ausräuchern müsse, dann werde man schon sehen.
    Wenn das Dorf in den Kriegsjahren verhältnismäßig ruhig blieb, so darum, weil seine aktiven Kräfte an der Front waren. Die Soldaten vergaßen den Acker nicht, wenigstens solange sie nicht an den Tod dachten, und die Gedanken des Muschiks an die Zukunft wurden in den Schützengräben vom Pulvergeruch durchtränkt. Aber dennoch würde die Bauernschaft, auch nachdem sie den Gebrauch der Waffen gelernt hatte, mit ihren Kräften - allein niemals die agrardemokratische, das heißt ihre eigene Revolution vollbracht haben. Sie brauchte eine Führung. Zum erstenmal in der Weltgeschichte sollte der Bauer seinen Führer in der Person des Arbeiters finden. Darin besteht der grundlegende und man könnte sagen erschöpfende Unterschied zwischen der russischen und allen vorangegangenen Revolutionen.
    In England verschwand die Leibeigenschaft faktisch am Ende des vierzehnten Jahrhunderts, das heißt zwei Jahrhunderte bevor sie in Rußland entstand und viereinhalb Jahrhunderte, ehe sie dort abgeschafft wurde. Die Enteignung des Bodenbesitzes der Bauern erstreckt sich in England über die Reformation und zwei Revolutionen bis zum neunzehnten Jahrhundert. Die kapitalistische Entwicklung, von außen nicht forciert, besaß somit Zeit genug, die selbständige Bauernschaft zu liquidieren, lange bevor noch das Proletariat zum politischen Leben erwacht war.
    In Frankreich zwang ihr Kampf mit dem königlichen Absolutismus, der Aristokratie und den Kirchenfürsten die Bourgeoisie in Gestalt ihrer verschiedenen Schichten, die radikale Agrarrevolution am Ende des achtzehnten Jahrhunderts etappenweise zu vollziehen. Die selbständige Bauernschaft wurde danach für lange Zeit die Stütze der bürgerlichen Ordnung und half im Jahre 1871 der Bourgeoisie, mit der Pariser Kommune fertigzuwerden.
    In Deutschland erwies sich die Bourgeoisie zur revolutionären Lösung der Agrarfrage unfähig und lieferte im Jahre 1848 die Bauern ebenso an die Gutsbesitzer aus, wie Luther etwa drei Jahrhunderte zuvor sie während des Bauernkrieges an die Fürsten ausgeliefert hatte. Das deutsche Proletariat seinerseits war Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch zu schwach, die Führung der Bauernschaft zu übernehmen. Die kapitalistische Entwicklung Deutschlands bekam infolgedessen eine genügende Frist, wenn auch keine so lange wie die Englands, um sich die Landwirtschaft, wie sie aus der unvollendeten bürgerlichen Revolution hervorgegangen war, zu unterwerfen.
    Die Bauernreform von 1861 wurde in Rußland von der Adels- und Beamtenmonarchie unter dem Druck der Bedürfnisse der bürgerlichen Gesellschaft durchgeführt, jedoch bei völliger politischer Ohnmacht der Bourgeoisie. Der Charakter der Bauernbefreiung war derart, daß die forcierte kapitalistische Umgestaltung des Landes das Agrarproblem unvermeidlich in ein Problem der Revolution verwandeln mußte. Die russischen Bourgeois erträumten eine Agrarentwicklung bald von französischem, bald dänischem, bald amerikanischem, von jedem beliebigen, nur nicht russischem Typ. Jedoch kamen sie nicht auf den Gedanken, sich französische Geschichte oder die amerikanische soziale Struktur anzueignen. Die demokratische Intelligenz stand trotz ihrer revolutionären Vergangenheit in der Entscheidungsstunde auf seiten der liberalen Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, nicht aber auf der des revolutionären Dorfes. Nur die Arbeiterklasse vermochte sich unter diesen Umständen an die Spitze der Bauernrevolution zu stellen.
    Das Gesetz der

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