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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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sein", schreibt Graf Witte, "diese Parole äußerte sich in allen Handlungen dieses willensschwachen Herrschers, der nur infolge seiner Schwäche all das getan hat, was seine Regierung charakterisierte - ein fortwährendes und in den meisten Fällen völlig zweckloses Vergießen mehr oder minder unschuldigen Blutes ... "
    Man verglich Nikolaus manchmal mit seinem halbirrsinnigen Ururgroßvater Paul, der, mit Zustimmung des eigenen Sohnes, Alexander des "Gesegneten", von einer Kamarilla erdrosselt wurde. Diese zwei Romanows gleichen sich tatsächlich in dem Mißtrauen gegen alle, das aus ihrem Mißtrauen gegen sich selbst erwuchs; in dem Argwohn einer allmächtigen Null; in dem Gefühl des Ausgestoßenseins, man könnte sagen, in dem Bewußtsein gekrönter Parias. Jedoch war Paul unvergleichlich farbiger. In seinem Wahnsinn war ein Element von Phantasie, wenn auch von unzurechnungsfähiger. An seinem Nachfahren ist alles farblos, ist kein greller Zug.
    Nikolaus war nicht nur unbeständig, sondern auch treubrüchig. Die Schmeichler nannten ihn für seine Sanftmut gegen Hofleute: "Charmeur." Besondere Freundlichkeit jedoch erwies der Zar jenen Würdenträgern, die er davonzujagen beschlossen hatte: ein von ihm beim Empfang über alle Maßen bezauberter Minister konnte zu Hause den Entlassungsbrief vorfinden. Das war eine Art Rache für die eigene Minderwertigkeit.
    Nikolaus wandte sich feindselig von allen Begabten und Bedeutenden ab. Es behagte ihm nur unter unfähigen, geistig minderwertigen Menschen, Scheinheiligen, Schwächlingen, zu denen er nicht emporzublicken brauchte. Er besaß Ehrgeiz, einen sogar raffinierten, aber nicht aktiven Ehrgeiz, der, ohne ein Körnchen Initiative nur der neidischen Selbstverteidigung diente. Seine Minister wählte er nach dem Prinzip des ständigen Abwärtsgleitens aus. Menschen von Geist und Charakter holte er nur in äußerstem Falle, wenn es keinen anderen Ausweg gab, etwa wie man einen Chirurgen zur Rettung des Lebens holt. So war es mit Witte und später mit Stolypin. Der Zar verhielt sich zu beiden mit schlecht verborgener Feindseligkeit. Sobald die zugespitzte Situation vorüber war, beeilte er sich, die Ratgeber loszuwerden, die ihm zu offensichtlich überlegen waren. Die Auswahl wirkte sich so systematisch aus, daß der Vorsitzende der letzten Duma, Rodsjanko, am 7. Januar 1917, als die Revolution an die Türen pochte, es wagen durfte, dem Zaren zu sagen: "Majestät, es ist kein einziger zuverlässiger und ehrlicher Mensch in Ihrer Umgebung geblieben, die Besten sind entfernt worden oder gegangen, es sind nur solche geblieben, die in schlechtem Rufe stehen."
    Alle Bemühungen der liberalen Bourgeoisie, mit dem Hof eine gemeinsame Sprache zu finden, scheiterten. Der unermüdliche, polternde Rodsjanko versuchte durch seine Vorträge den Zaren aufzurütteln. Vergeblich! Dieser überging schweigend nicht nur alle Argumente sondern auch Anmaßungen und bereitete im stillen die Auflösung der Duma vor. Der Großfürst Dmitrij, der damalige Liebling des Zaren und spätere Teilnehmer an der Ermordung Rasputins, klagte seinem Mitverschworenen, dem Fürsten Jussupow, daß der Zar im Hauptquartier mit jedem Tage gleichgültiger gegen seine ganze Umgebung werde. Nach Dmitrijs Meinung gäbe man dem Zaren irgendein Getränk ein, das dessen geistige Fähigkeiten abstumpfe. "Es gingen Gerüchte", schreibt der liberale Historiker Miljukow seinerseits, "daß der Zustand der geistigen und moralischen Apathie beim Zaren durch starken Genuß von Alkohol aufrechterhalten würde." Das aber waren alles Erfindungen oder Übertreibungen. Der Zar brauchte nicht zu Narkotika zu greifen: er hatte das tödliche "Getränk" schon im Blute. Nur waren dessen Wirkungen besonders verblüffend auf dem Hintergrunde der großen Ereignisse des Krieges und der inneren Krise, die zur Revolution geführt hat. Rasputin, der ein guter Psychologe war, pflegte vom Zaren kurz zu sagen, daß ihm "im Innern etwas fehlt".
    Dieser farblose, gleichmäßige, "guterzogene" Mann war grausam. Es war aber nicht die aktive, historische Ziele verfolgende Grausamkeit eines Iwan des Schrecklichen oder Peter - was hatte Nikolaus II. mit diesen gemein! -, sondern die feige Grausamkeit eines Letztgeborenen, dem vor seinem Geschick bange war. Schon in der Morgenröte seiner Regierung lobte Nikolaus die "braven Fanagorier" für die Niederschießung von Arbeitern. Er "las mit Vergnügen", wie man mit Nagajkas die "kurzgeschorenen"

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