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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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kirchlicher Feierlichkeiten geschieht. im gleichen Tone wie die einer Zecherei.
    In den Tagen vor der Eröffnung der Reichsduma, als das ganze Land in Konvulsionen erschauerte, schrieb Nikolaus: "14. April. Ging spazieren in einer leichten Hemdbluse und nahm die Spazierfahrten mit dem Paddelboot wieder auf. Trank Tee auf dem Balkon. Stana aß mit uns zu Mittag und fuhr mit uns spazieren. Habe gelesen." Nicht ein Wort über den Gegenstand der Lektüre: ein sentimentaler englischer Roman oder ein Bericht des Polizeidepartements? "15. April. Nahm die Entlassung Wittes an. Marie und Dmitrij aßen mit uns. Haben [1] sie ins Schloß begleitet."
    An dem Tage, an dem die Auflösung der Duma beschlossen wurde und die hohen Würdenträger wie die Liberalen einen Angstparoxismus durchmachten, schrieb der Zar in sein Tagebuch: "7. Juli. Freitag. Ein sehr beschäftigter Morgen. Haben uns zum Frühstück mit den Offizieren um eine halbe Stunde verspätet ... Es war Gewitter und sehr schwül. Gingen zusammen spazieren. Empfing Goremykin; unterschrieb den Befehl zur Auflösung der Duma! Haben Mittag gegessen bei Olga und Petja. Den ganzen Abend gelesen." Ein Ausrufungszeichen anläßlich der bevorstehenden Dumaauflösung ist der höchste Ausdruck seiner Gefühlsregungen.
    Die Deputierten der auseinandergejagten Duma riefen das Volk auf, Steuerzahlungen und Militärpflicht zu verweigern. Eine Reihe militärischer Aufstände brach aus: in Sweaborg, in Kronstadt, auf den Schiffen, bei Armeeteilen; der revolutionäre Terror gegen hohe Beamte lebte in nie dagewesenem Maße auf Der Zar schreibt: "9. Juli. Sonntag. Es ist geschehen! Die Duma ist heute aufgelöst worden. Beim Frühstück nach der Messe sah man viele lange Gesichter ... Das Wetter war herrlich. Trafen beim Spaziergange Onkel Mischa, der gestern aus Gatschina hierher übergesiedelt ist. Bis zum Mittagessen und den ganzen Abend ruhig gearbeitet. Fuhr Paddelboot." Daß er ausgerechnet Paddelboot fuhr, ist vermerkt, womit er sich aber beschäftigte, ist nicht gesagt. Und so immer wieder.
    Weiter, aus den gleichen schicksalsvollen Tagen: "14. Juli. Nachdem ich mich angezogen hatte, fuhr ich per Rad zur Badeanstalt und badete mit Genuß im Meere." - "15. Juli. Zweimal gebadet. Es war sehr heiß. Aßen zu Mittag zu zweien. Das Gewitter ist vorüber." - "19. Juli. Morgens gebadet. Empfang auf der Farm: Onkel Wladimir und Tschagin waren zum Frühstück da." Aufstände und Dynamitexplosionen werden in einer einzigen Wertung gestreift - "Nette Ereignisse!" -, verblüffend durch eine niedrige Teilnahmslosigkeit, die sich nicht mal bis zum bewußten Zynismus entwickelt. "Um 9.30 Uhr morgens fuhren wir zum Kaspischen Regiment ... Ging lange spazieren. Das Wetter war herrlich. Badete im Meere. Empfing nach dem Tee Lwow und Gutschkow." Kein Wort darüber, daß dieser so gewöhnliche Empfang zweier Liberaler mit dem Versuch Stolypins zusammenhing, in sein Ministerium oppositionelle Politiker einzubeziehen. Fürst Lwow, das spätere Haupt der Provisorischen Regierung, berichtete damals über den Empfang beim Zaren: "Ich hatte erwartet, den Kaiser vom Unglück niedergeschlagen vorzufinden, statt dessen kam ein lustiges, munteres Kerlchen in einem himbeerroten Blusenhemd zu mir heraus."
    Der geistige Horizont des Zaren reichte nicht weiter als der eines kleineren Polizeibeamten, mit dem Unterschiede, daß dieser immerhin die Wirklichkeit besser kannte und von Aberglauben weniger belastet war. Die einzige Zeitung, die Nikolaus während einer Reihe von Jahren las und aus der er seine Ideen schöpfte, war eine Wochenschrift, die Fürst Meschtscherski auf Staatskosten herausgab, ein niedriger, käuflicher, selbst im eigenen Kreise der reaktionären Bürokratencliquen verachteter Journalist. Seinen Horizont hat der Zar über zwei Kriege und zwei Revolutionen hinweg sich unverändert bewahrt: zwischen seinem Bewußtsein und den Ereignissen stand stets trennend die undurchdringliche Sphäre der Gleichgültigkeit.
    Nicht ohne Grund nannte man Nikolaus einen Fatalisten. Man muß nur hinzufügen, daß dieser Fatalismus das gerade Gegenteil eines aktiven Glaubens an seinen "Stern" war. Nikolaus selbst hielt sich vielmehr für einen Pechvogel. Sein Fatalismus war lediglich die Form eines passiven Selbstschutzes gegen die geschichtliche Entwicklung und ging Hand in Hand mit einer Willkür, die ihren psychologischen Motiven nach kleinlich, ihren Folgen nach ungeheuerlich war.
    "Ich will, und darum muß es so

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