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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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wie anderen Kultgegenständen, die zuerst der japanischen Artillerie entgegengestellt worden waren und später der deutschen.
    Das Niveau des Hofkreises hatte sich eigentlich von Generation zu Generation nicht sonderlich verändert. Unter Alexander II., dem "Befreier", glaubten die Großfürsten aufrichtig an Hausgeister und Hexen. Unter Alexander III. war es nicht besser, nur ruhiger. "Die aussätzige Kamarilla" existierte stets, sie wechselte bloß die Zusammensetzung und erneuerte ihre Methoden. Nikolaus II. hatte die höfische Atmosphäre des wilden Mittelalters nicht geschaffen, sondern von seinen Ahnen übernommen. Das Land veränderte sich in diesen Jahrzehnten, die Aufgaben wurden komplizierter, die Kultur stieg, doch der Hof blieb weit zurück. Wenn auch die Monarchie unter den Schlägen der neuen Mächte Zugeständnisse machte, so hatte sie doch keine Zeit, sich innerlich zu modernisieren; im Gegenteil, sie schloß sich immer mehr ab, der Geist des Mittelalters verdichtete sich unter dem Druck der Feindschaft und Furcht, bis er den Charakter eines widerlichen Alpdruckes bekam, der sich auf das Land legte.
    Am 1. November 1905, das heißt im kritischsten Augenblick der ersten Revolution, schreibt der Zar in sein Tagebuch: "Lernte einen Mann Gottes, Grigorij, aus dem Gouvernement Tobolsk kennen." Das war Rasputin, ein sibirischer Bauer mit nicht verheilenden Schrammen am Kopfe, herrührend von Schlägen wegen Pferdediebstahls. Im rechten Augenblick aufgetaucht, fand der "Mann Gottes" bald hochgestellte Helfer, richtiger, sie fanden ihn, und so entstand eine neue regierende Clique, die die Zarin und durch sie den Zaren fest in ihre Hände bekam.
    Seit dem Winter der Jahre 1913/14 sprach man in der Petersburger Gesellschaft bereits offen davon, daß alle höheren Ernennungen, Lieferungen und Aufträge von der Rasputinclique abhängig seien. Der "Starez" selbst verwandelte sich allmählich in eine Staatsinstitution. Er wurde sorgsam bewacht und von den rivalisierenden Ministerien nicht weniger sorgsam beobachtet. Die Spitzel des Polizeidepartements führten nach Stunden Tagebuch über sein Leben und versäumten nicht zu berichten, daß sich Rasputin beim Besuch seines Heimatdorfes Pokrowskoje betrunken auf der Straße mit seinem Vater blutig prügelte. Am gleichen Tage, dem 9. September 1915, schickte Rasputin zwei freundschaftliche Telegramme ab, eines nach Zarskoje Selo, der Zarin, das andere in das Hauptquartier, dem Zaren.
    In epischer Sprache registrierten die Spitzel tagein tagaus die Völlereien des "Freundes". "Kehrte heute um 5 Uhr morgens heim, stockbetrunken." "In der Nacht vom 25. zum 26. übernachtete bei Rasputin die Schauspielerin W." "Ist mit der Fürstin D. (der Frau des Kammerjunkers beim Zarenhof) im Hotel Astoria angekommen ..." Gleich hierauf: "Kehrte aus Zarskoje Selo um 11 Uhr abends heim." "Rasputin kam mit der Fürstin Sch. sehr betrunken nach Hause. Sie gingen bald zusammen weg." Am Morgen oder am Abend des nächsten Tages eine Reise nach Zarskoje Selo. Auf die teilnehmende Frage des Spitzels, weshalb er heute so nachdenklich sei, antwortet der "Starez": "Kann mich nicht entschließen, soll die Duma einberufen werden oder nicht." Dann wieder: "Kehrte um 5 Uhr morgens heim, ziemlich betrunken." So wurde monate- und jahrelang auf drei Tasten immer die gleiche Melodie gespielt: "Ziemlich betrunken", "sehr betrunken", "stockbetrunken". Diese staatswichtigen Nachrichten verband zu einer Einheit und bekräftigte mit seiner Unterschrift der Gendarmeriegeneral Globatschew.
    Die Blüte des Rasputinschen Einflusses währte sechs Jahre, die letzten Jahre der Monarchie. "Sein Leben in Petersburg", erzählt Fürst Jussupow, bis zu einem gewissen Grade Teilnehmer dieses Lebens und später Rasputins Mörder, "verwandelte sich in ein ununterbrochenes Fest, in die wüste Orgie eines Zuchthäuslers, dem unverhofft das Glück in den Schoß gefallen war." "In meinem Besitze befand sich", schreibt der Dumavorsitzende Rodsjanko, "eine Unmenge Briefe von Müttern, deren Töchter dieser schamlose Wüstling mißbraucht hatte." Gleichzeitig verdankten der Petersburger Metropolit Pitirin und der kaum des Lesens und Schreibens kundige Erzbischof Warnawa ihre Ämter Rasputin. Durch ihn hielt sich auch lange Zeit der Oberprokureur des Heiligen Synods, Sabler, im Amte, auf Rasputins Wunsch und Willen wurde der Premier Kokowzew entlassen, der sich geweigert hatte, den "Starez" zu empfangen. Rasputin ernannte Stürmer

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