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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Studentinnen peitschte oder während der jüdischen Pogrome hilflosen Menschen die Schädel einschlug. Der Ausgestoßene auf dem Throne hatte stets eine Neigung für den Auswurf der Gesellschaft, für die Plünderer der Schwarzen Hundert; er zahlte ihnen nicht nur freigebig einen Sold aus der Staatskasse, sondern liebte es auch, sich mit ihnen über ihre Heldentaten zu unterhalten, ihnen Gnaden zu erweisen, besonders wenn sie zufällig bei einem Mord an dem einen oder anderen oppositionellen Deputierten erwischt worden waren. Witte, der während der Niederwerfung der ersten Revolution an der Spitze der Regierung stand, schreibt in seinen Memoiren: "Wenn nutzlose, grausame Ausschreitungen der Anführer von Strafexpeditionen dem Kaiser bekannt wurden, fanden sie seine Billigung, jedenfalls seinen Schutz." In Beantwortung einer Forderung des baltischen Generalgouverneurs, einen gewissen Kapitänleutnant Richter zur Räson zu bringen, der "aus eigener Ermächtigung ohne jegliches Gerichtsverfahren auch Personen hinrichtete, die keinen Widerstand geleistet hatten", schrieb der Zar auf den Bericht: "Braver Kerl!" Solche Aufmunterungen gibt es ohne Zahl. Dieser "Charmeur" ohne Willen, ohne Ziel, ohne Phantasie war schrecklicher als alle Tyrannen der alten und der neuen Geschichte.
    Der Zar stand unter dem ungeheuren Einfluß der Zarin, der mit den Jahren und mit den Schwierigkeiten stetig zj-nahm. Zusammen bildeten sie irgendwie ein Ganzes. Schon diese Verbindung zeigt, in welch hohem Maße unter dem Druck der Verhältnisse das Persönliche durch das Gruppenmäßige ergänzt wird. Vorerst aber muß man einiges über die Zarin sagen.
    Maurice Paleologue, während des Krieges französischer Gesandter in Petrograd, ein feiner Psychologe für französische Akademiker und Portierfrauen, gibt ein sorgsam gelecktes Porträt der letzten Zarin: "Moralische Ruhelosigkeit, chronische Traurigkeit, grenzenlose Wehmut, wechselnde Ab- und Zunahme der Kräfte, quälende Gedanken über die jenseitige, unsichtbare Welt, Aberglaube - bilden denn nicht alle diese Züge, die an der Persönlichkeit der Zarin so scharf hervortreten, die charakteristischen Eigenschaften des russischen Volkes?" So seltsam das ist, in dieser süßlichen Lüge ist ein Körnchen Wahrheit. Nicht umsonst hat der russische Satiriker Saltykow die Minister und Gouverneure aus den Reihen der baltischen Barone "Deutsche mit russischer Seele" genannt: zweifellos haben gerade die Fremden, die nichts mit dem Volke verband, den "echtrussischen" Administrator in Reinkultur hochgezüchtet.
    Weshalb aber zollte das Volk, dessen Seele die Zarin, nach den Worten Paleologues, so vollkommen in sich aufgenommen hatte, ihr so unverhüllten Haß? Die Antwort ist einfach: zur Rechtfertigung ihrer neuen Lage hatte sich diese Deutsche mit kühler Besessenheit alle Traditionen und Eingebungen des russischen Mittelalters, des dürftigsten und rauhesten von allen, angeeignet, in einer Periode, in der das Volk gewaltige Anstrengungen machte, um sich von der eigenen mittelalterlichen Barbarei zu befreien. Diese hessische Prinzessin war buchstäblich vom Dämon des Selbstherr-schertums erfüllt. Aus ihrem Krähwinkel zu den Höhen eines byzantinischen Despotismus emporgekommen, wollte sie von diesen um keinen Preis hinabsteigen. In dem orthodoxen Glauben fand sie die Mystik und die Magie, die ihrem neuen Schicksal angepaßt waren. Sie glaubte um so fester an ihre Berufung, je unverhüllter die Abscheulichkeit des ä-ten Regimes zutage trat. Von starkem Charakter und mit der Fähigkeit zu trockener, gefühlloser Exaltation, ergänzte die Zarin den willenlosen Zaren, indem sie ihn beherrschte.
    Am 17. März 1916, ein Jahr vor der Revolution, als das zerrüttete Land sich bereits in der Zange der Niederlagen und Zerstörung wand, schrieb die Zarin ihrem Manne ins Hauptquartier: "... Du darfst keine Nachgiebigkeit zeigen, verantwortliches Ministerium und so weiter - alles was sie wollen. Das muß Dein Krieg und Dein Friede sein, Deine Ehre und die unserer Heimat, keinesfalls die der Duma. Sie haben kein Recht, auch nur ein einziges Wort in diese Frage hineinzureden." Das war jedenfalls ein geschlossenes Programm, und gerade dieses Programm obsiegte über alle Schwankungen des Zaren.
    Nach der Abreise Nikolaus zur Armee in seiner Eigenschaft des fiktiven Oberkommandierenden begann die Zarin offen über die inneren Angelegenheiten zu verfügen. Die Minister erstatteten ihr Bericht wie einer Regentin.

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