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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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rivalisierenden Heiligen. Sogar auf den Petrograder Gipfeln ist die Zarenfamilie, wie verpestet, von einer Quarantäne des Mißtrauens und der Feindschaft umgeben. Das Hoffräulein Wyrubowa schreibt in ihren Erinnerungen: "Ich ahnte tief und fühlte eine Feindseligkeit der ganzen Umgebung gegen die, die ich vergötterte, und ich fühlte, daß diese Feindseligkeit erschreckende Dimensionen annahm ... "
    Auf purpurrotem Hintergrund des Krieges, unter vernehmbarem Getöse unterirdischer Stöße verzichteten die Privilegierten nicht eine Stunde auf die Freuden des Lebens, im Gegenteil, sie genossen sie wie im Rausch. Aber auf ihren Festgelagen erschien immer häufiger ein Skelett und drohte ihnen mit den Knöcheln seiner Finger. Dann wähnten sie, das ganze Unglück käme von dem abscheulichen Charakter der Alice, von der treubrüchigen Willenlosigkeit des Zaren, von der habgierigen Närrin Wyrubowa, vom sibirischen Christus mit den Schrammen auf dem Schädel. Wellen unerträglicher Ahnungen überliefen die herrschenden Klassen, krampfartige Zuckungen gingen von der Peripherie zum Zentrum, die verhaßte Spitze in Zarskoje Selo immer stärker isolierend. In ihren im allgemeinen äußerst verlogenen Erinnerungen hat die Wyrubowa recht kraß den Ausdruck für den Zustand dieser Spitze gefunden: "... zum hundertsten Male fragte ich mich: was ist mit der Petrograder Gesellschaft geschehen? Sind sie alle seelisch erkrankt oder von einer in Kriegszeiten wütenden Epidemie befallen? Es ist schwer, sich auszukennen, die Tatsache aber bleibt bestehen: alle waren in einem anormal erregten Zustande."
    Zu denen, die die Besinnung verloren hatten, gehörte auch die umfangreiche Familie der Romanows, die ganze habgierige, schamlose, von allen gehaßte Meute der Großfürsten und Großfürstinnen. Auf den Tod erschrocken, trachteten sie, sich aus dem sie umklammernden Ring zu befreien, versuchten, sich bei der frondierenden Aristokratie einzuschmeicheln, klatschten über das Zarenpaar, hetzten einander und ihre Umgebung auf Die allerdurchlauchtigsten Onkel wandten sich an den Zaren mit ermahnenden Briefen, in denen hinter Ehrfurcht das Zähneknirschen zu spüren war. Nach der Oktoberrevolution charakterisierte Protopopow zwar ziemlich plump aber malerisch die Stimmung der obersten Schichten: "Selbst die höchsten Klassen frondierten vor der Revolution. In den Klubs und Salons der großen Welt übte man scharfe und mißgünstige Kritik an der Politik der Regierung; man analysierte und begutachtete die Beziehungen, die sich in der Zarenfamilie herausgebildet hatten; verbreitete anekdotische Erzählungen über das Oberhaupt des Staates; schrieb Verse; viele Großfürsten besuchten offen solche Zusammenkünfte, und ihre Anwesenheit verlieh den karikaturenhaften Erfindungen und bösartigen Übertreibungen in den Augen des Publikums besondere Zuverlässigkeit. Das Bewußtsein der Gefährlichkeit dieses Spieles erwachte bis zum letzten Augenblick nicht."
    Besondere Schärfe verlieh den Gerüchten über eine Palastkamarilla die Beschuldigung der Deutschfreundlichkeit und sogar der direkten Verbindung mit dem Feinde. Der vorlaute und nicht sehr gründliche Rodsjanko erklärt direkt: "Die Verbindung und die Analogie der Bestrebungen sind derart logisch klar, daß es mindestens für mich keine Zweifel geben kann an dem Zusammenwirken des deutschen Stabes und des Rasputinschen Kreises. Das unterliegt keinem Zweifel." Der bloße Hinweis auf die "logische" Klarheit schwächt den kategorischen Ton dieses Zeugnisses sehr ab. Für die Verbindung der Rasputinleute mit dem deutschen Stab waren auch nach der Revolution keinerlei Beweise zu entdek-ken. Anders verhält es sich mit dem sogenannten "Germanophilentum". Es handelte sich natürlich nicht um nationale Sympathien oder Antipathien der deutschstämmigen Zarin, des Premiers Stürmer, der Gräfin Kleinmichel, des Hofministers, Graf Frederiks, und anderer Herren mit deutschen Namen. Die zynischen Memoiren der alten Intrigantin Kleinmichel zeigen mit bemerkenswerter Kraßheit, welch übernationaler Charakter die Spitzen der Aristokratie aller
    Länder Europas auszeichnete, die miteinander durch Bande der Verwandtschaft, Erbschaften, Verachtung gegen alles unter ihnen Stehende und, last but not least, durch kosmopolitische Libertinagen in alten Schlössern, fashionablen Bädern und an europäischen Höfen verknüpft waren. Bedeutend realer waren die organischen Antipathien des Hofgesindels gegen die

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