Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Takt mit der Uhr der Revolution. Am 3. März, bei Sonnenaufgang, wird Russki wieder zum Apparat geholt. Rodsjanko und Fürst Lwow fordern, das Zarenmanifest zurückzuhalten, es habe sich wiederum als verspätet erwiesen. Mit der Thronbesteigung Alexejs - berichten die neuen Herren ausweichend - würde man sich vielleicht abfinden - wer? -, die Thronbesteigung Michails hingegen sei völlig unannehmbar. Nicht ohne Bosheit drückte Russki sein Bedauern darüber aus, daß die Deputierten der Duma, die gestern hier weilten, über Ziel und Aufgabe ihrer Reise nicht hinreichend informiert gewesen waren. Aber auch die Deputierten fanden eine Ausrede. "Es loderte für alle unerwartet eine solche Soldatenmeuterei auf, wie ich sie nie gesehen habe", erklärte der Kammerherr dem General Russki, als habe er sein Lebtag nichts anderes getan, als Soldatenmeutereien beobachtet. "Die Proklamierung Michails zum Kaiser würde bedeuten, Öl ins Feuer zu gießen, und es würde eine erbarmungslose Vernichtung all dessen anheben, was nur zu vernichten möglich ist." Wie es sie alle doch gepackt hat, wie es sie schüttelt, rüttelt, herumwirbelt!
Die Generalität schluckt schweigend auch diese neue "niederträchtige Anmaßung" der Revolution. Nur Alexejew erleichtert sich das Herz in einer telegraphischen Nachricht an die Oberkommandierenden: "Die linken Parteien und die Arbeiterdeputierten üben auf den Dumavorsitzenden einen gewaltigen Druck aus, in den Berichten Rodsjankos fehlt die nötige Offenheit und Aufrichtigkeit." Nur Aufrichtigkeit vermißten die Generale in jenen Stunden!
Aber da hat es sich der Zar nochmals überlegt. Bei seiner Ankunft aus Pskow in Mohilew händigt er seinem früheren Generalstabschef Alexejew zur Weiterbeförderung nach Petrograd ein Blatt Papier aus mit der Einwilligung, den Thron an den Sohn abzutreten. Diese Kombination erschien ihm doch wohl als die annehmbarste. Nach dem Bericht Denikins ging Alexekew mit dem Telegramm davon ... sandte es jedoch nicht ab. Er betrachtete anscheinend jene zwei Manifeste als ausreichend, die bereits an Armee und Volk bekanntgegeben waren. Der ungleiche Pendelschlag entstand dadurch, daß nicht nur der Zar und dessen Berater, sondern auch die Dumaliberalen langsamer dachten als die Revolution.
Am 8. März, vor seiner endgültigen Abreise aus Mohilew, schrieb der formell bereits verhaftete Zar einen Appell an die Truppen, der mit den Worten schloß: "Wer jetzt an Frieden denkt, wer ihn wünscht, verrät sein Vaterland, ist ein
Hochverräter!" Das war ein ihm von irgendwem eingegebener Versuch, die Beschuldigung des Germanophilentums den Händen der Liberalen zu entreißen. Der Versuch blieb ohne Folgen: man wagte nicht mehr, den Appell zu veröffentlichen.
So endete eine Regierung, die eine ununterbrochene Kette von Mißerfolgen, Unglück, Unheil und Verbrechen war, beginnend mit der Katastrophe auf Chodynka, während der Krönungsfeierlichkeiten, über Erschießungen Streikender und aufständischer Bauern, über den Russisch-Japanischen Krieg, über die schreckliche Niederschlagung der Revolution von 1905, über zahllose Hinrichtungen, Strafexpeditionen und nationale Pogrome hinweg, abschließend mit der wahnwitzigen und infamen Beteiligung Rußlands an dem wahnwitzigen und infamen Weltkrieg.
Nach seiner Ankunft in Zarskoje Selo, wo er zusammen mit seiner Familie im Schlosse gefangengehalten wurde, sagte, nach den Worten der Wyrubowa, der Zar leise vor sich hin "Es gibt unter Menschen keine Gerechtigkeit." Indes sind gerade diese Worte unwiderlegbares Zeugnis dafür, daß es eine historische Gerechtigkeit gibt, wenn sie sich auch manchmal verspätet.
Die Ähnlichkeit des letzten Zarenpaares der Romanows mit dem französischen Königspaar aus der Epoche der Großen Revolution drängt sich von selbst auf. In der Literatur wurde bereits darauf verwiesen, doch nur flüchtig und ohne aus dieser Ähnlichkeit Schlüsse zu ziehen. Diese Ähnlichkeit ist indes keinesfalls so zufällig, wie es auf den ersten Blick erscheint, und gibt wertvolles Material für Folgerungen.
Voneinander durch fünfviertel Jahrhunderte getrennt, stellen Zar und König in gewissen Augenblicken zwei Akteure dar, die die gleiche Rolle spielen. Passiver, lauernder, aber rachsüchtiger Treubruch bilden die hervorstechendste Eigenschaft beider, mit dem Unterschiede, daß sie sich bei Ludwig hinter einer zweifelhaften Gutmütigkeit verbarg, während sie bei Nikolaus Umgangsform war. Beide machten den
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