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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Eindruck von Menschen, die ihr Gewerbe belastet, die aber gleichzeitig nicht gewillt sind, auch nur das kleinste Teilchen ihrer Rechte, von denen sie keinen Gebrauch machen können, abzutreten. Die Tagebücher beider, sogar im Stil oder im Fehlen des Stiles verwandt, enthüllen in gleicher Weise eine drückende seelische Leere.
    Die Österreicherin und die Deutsche aus Hessen wiederum bilden ihrerseits eine Symmetrie. Die Königinnen erheben sich über die Könige nicht nur ihrem physischen, sondern auch ihrem moralischen Wuchse nach. Marie Antoinette ist weniger fromm als Alexandra Feodorowna und zum Unterschiede von dieser den Vergnügungen heiß ergeben Beide hassen in gleicher Weise das Volk, ertragen den Gedanken an Zugeständnisse nicht, mißtrauen in gleicher Weise dem Mut ihrer Männer und betrachten sie von oben herab, Antoinette mit einem Schatten von Verachtung, Alexandra mit Mitleid.
    Wenn Autoren, die dem Petersburger Hof nähergekommen waren, uns in ihren Memoiren versichern, daß Nikolaus, wäre er eine Privatperson gewesen, in guter Erinnerung geblieben wäre, dann reproduzieren sie einfach das alte Klischee der wohlwollenden Gutachten über Ludwig XVI., wodurch sie uns aber weder in bezug auf die Geschichte noch in bezug auf die menschliche Natur sonderlich bereichern.
    Wir haben bereits gehört, wie sich Fürst Lwow entrüstete, als er während der tragischen Ereignisse der ersten Revolution anstatt eines niedergeschlagenen Zaren ein "lustiges, munteres Kerlchen in himbeerroter Hemdbluse" vorfand. Ohne es zu wissen, hatte der Fürst das Gutachten des Gouverneurs Morris reproduziert, der im Jahre 1790 in Washington über Ludwig schrieb: "Was kann man von einem Menschen erwarten, der in seiner Lage immer guten Mutes ißt, trinkt, schläft und lacht; von diesem netten Kerl, der lustiger ist als sonst einer?"
    Wenn Alexandra Feodorowna drei Monate vor dem Sturz der Monarchie prophezeit: "Alles wendet sich zum Guten, die Träume unseres Freundes besagen so viel!", wiederholt sie nur Marie Antoinette, die einen Monat vor dem Sturze des Königtums schreibt: "Ich fühle frischen Mut in mir, und etwas sagt mir, daß wir bald glücklich und gerettet sein werden." Untergehend sehen beide rosige Träume.
    Einige Elemente der Ähnlichkeit tragen selbstverständlich zufälligen Charakter und besitzen nur das Interesse historischer Anekdoten. Unermeßlich wichtiger sind jene Züge, die durch die gewaltige Macht der Verhältnisse aufgepfropft oder geradezu aufgedrängt wurden und ein grelles Licht werfen auf das Verhältnis zwischen Persönlichkeit und objektiven Faktoren der Geschichte.
    "Er konnte nicht wollen - das ist der hervorragende Zug seines Charakters", sagte ein reaktionärer französischer Historiker von Ludwig. Diese Worte scheinen wie über Nikolaus geschrieben. Beide konnten nicht wollen. Dafür aber konnten beide nicht-wollen. Doch was hätten denn eigentlich diese letzten Vertreter einer hoffnungslos verlorenen historischen Sache noch "wollen" können?
    "Er hörte gewöhnlich zu, lächelte, aber nur selten entschloß er sich zu etwas. Sein erstes Wort war in der Regel nein." Über wen ist es? Wiederum über Capet. Aber dann war doch das ganze Verhalten Nikolaus' ein durchgehendes Plagiat! Beide gehen dem Abgrunde zu "mit über die Augen geschobener Krone". Ist es denn leichter, einem Abgrund, dem man doch nicht entrinnen kann, mit offenen Augen entgegenzugehen? Was würde sich in der Tat geändert haben, wenn sie die Krone in den Nacken geschoben hätten?
    Man könnte den Berufspsychologen empfehlen, ein Lesebuch der parallelen Äußerungen von Nikolaus und von Ludwig, von Alexandra und von Antoinette und deren Nächsten über sie zusammenzustellen. An Material wäre kein Mangel, und das Ergebnis würde ein äußerst lehrreiches historisches Zeugnis zugunsten der materialistischen Psychologie sein: gleichartige (selbstverständlich nicht gleiche) Reize ergeben unter gleichartigen Bedingungen gleichartige Reflexe. Je mächtiger der Reizerreger ist, um so schneller überwindet er die individuellen Besonderheiten. Auf Kitzeln reagieren die Menschen verschieden, auf glühendes Eisen gleichartig. Wie der Dampfhammer eine Kugel und einen Würfel in gleicher Weise in eine Scheibe verwandelt, so platten unter dem Druck zu großer und unabwendbarer Ereignisse auch widerstrebende "Individualitäten" ab, verlieren ihre Umrisse.
    Ludwig und Nikolaus waren Letztgeborene von Dynastien, die stürmisch gelebt

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