Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
des Bodens und der Atmosphäre sie sich ernährt, so beraubt auch die Aufdeckung der gesellschaftlichen Wurzeln einer Persönlichkeit diese nicht ihres Aromas oder ihres Gestankes.
Gerade die oben angestellte Erwägung über eine längere Lebensdauer Alexanders III. kann dazu beitragen, dasselbe Problem von der anderen Seite zu beleuchten. Wir wollen annehmen, daß ein Alexander III. sich im Jahre 1904 nicht in einen Krieg mit Japan eingelassen hätte. Damit allein wäre die erste Revolution hinausgeschoben worden. Bis zu welchem Zeitpunkt? Es ist möglich, daß die Revolution von 1905, das heißt die erste Kraftprobe, das erste Loch im System des Absolutismus, eine einfache Einleitung zu der zweiten, der republikanischen, und zu der dritten, der proletarischen Revolution gebildet haben würde. Aber darüber sind nur mehr oder weniger interessante Mutmaßungen möglich. Es ist jedenfalls unbestreitbar, daß die Revolution sich nicht aus dem Charakter Nikolaus' II. ergeben hat und daß nicht Alexander III. ihre Aufgaben gelöst hätte. Es genügt, daran zu erinnern, daß sich nirgendwo und niemals der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Regime ohne gewaltsame Erschütterungen vollzog. Erst sahen wir dies in China, dann beobachteten wir es in Indien. Das Äußerste, was man sagen kann, ist, daß die eine oder die andere Politik einer Monarchie, die eine oder die andere Persönlichkeit des Monarchen die Revolution zu beschleunigen oder zu verzögern und ihrem äußeren Verlauf einen gewissen Stempel aufzudrücken imstande ist.
Mit welch wütender und ohnmächtiger Beharrlichkeit versuchte der Zarismus noch in seinen allerletzten Monaten, Wochen und Tagen sich zu behaupten, während die Partie bereits hoffnungslos verloren war.
Fehlte es Nikolaus selbst an Willen, so ersetzte die Zarin den Mangel. Rasputin war das Werkzeug der Beeinflussung für eine Clique, die verzweifelt um ihre Selbsterhaltung kämpfte. Sogar in diesem engen Maßstabe wird die Person des Zaren von einer Gruppe absorbiert, die ein Stück Vergangenheit und deren letzte Konvulsionen darstellt. Die "Politik" der Spitze in Zarskoje Selo bestand angesichts der Revolution aus Reflexen eines zu Tode gehetzten und ermatteten Raubtieres. Verfolgt man in der Steppe auf einem schnellen Automobil lange einen Wolf, dann bricht das Tier schließlich zusammen und bleibt entkräftet liegen. Probiert aber, ihm ein Halsband anzulegen, es wird versuchen, euch zu zerfleischen oder mindestens zu verletzen. Bleibt ihm in seiner Lage anderes übrig?
Ja, wähnten die Liberalen. Anstatt rechtzeitig mit der privilegierten Bourgeoisie ein Abkommen zu treffen und so die Revolution abzuwenden - also lautet die Anklageschrift des Liberalismus gegen den letzten Zaren -, verweigerte Nikolaus hartnäckig jedes Zugeständnis, zögerte sogar in den allerletzten Tagen, schon unter dem Messer, wo jede Minute zählte, feilschte mit dem Schicksal und versäumte so die letzte Möglichkeit. Das klingt alles sehr überzeugend. Wie schade nur, daß der Liberalismus, der so unfehlbare Mittel für die Errettung der Monarchie wußte, für sich solche Mittel nicht fand.
Es wäre unsinnig, zu behaupten, der Zarismus habe niemals und unter keinen Umständen Zugeständnisse gemacht. Er hat sie gemacht, soweit es seine Selbsterhaltung erforderte. Nach den Niederlagen auf der Krim führte Alexander II. eine halbe Befreiung der Bauernschaft durch und eine Reihe liberaler Reformen auf dem Gebiete des Semstwo, der Justiz, der Presse, der Lehranstalten und so weiter. Der Zar selbst erklärte damals den Leitgedanken seiner Reformen folgendermaßen: die Bauern von oben befreien, damit sie sich nicht von unten befreien. Unter dem Drucke der ersten Revolution gab Nikolaus II. eine halbe Konstitution. Stolypin machte dem bäuerlichen Gemeindebesitz den Garaus, um die Arena der kapitalistischen Kräfte zu erweitern. Alle diese Reformen hatten für den Zarismus jedoch nur insofern einen Sinn, als die Teilzugeständnisse das Ganze, das heißt die Grundlagen der ständischen Gesellschaft und der Monarchie selbst unversehrt ließen. Sobald die Folgen der Reformen diese Grenzen zu überschreiten drohten, wich die Monarchie unverzüglich zurück. Alexander II. verübte in der zweiten Hälfte seiner Regierung Diebstahl an den Reformen der ersten Hälfte. Alexander III. ging auf dem Wege der Konterreformen noch weiter. Nikolaus II. machte im Oktober 1905 vor der Revolution einen Rückzug, löste sodann die von
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