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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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hatten. Eine gewisse Ausgeglichenheit des einen und des anderen, die Ruhe und die "Heiterkeit" in schwierigen Augenblicken, waren anerzogene Äußerungen der Dürftigkeit ihrer inneren Kräfte, der Schwäche der nervösen Entladungen, der Armseligkeit der geistigen Ressourcen. Moralische Kastraten, waren beide jeglicher Phantasie und schöpferischer Fähigkeit bar, besaßen gerade noch so viel Geist, um ihre Trivialität zu fühlen, und hegten feindseligen Neid gegen alles Begabte und- Bedeutende. Beide hatten das Schicksal, ein Land zu regieren unter Bedingungen tiefer innerer Krisen und des revolutionären Erwachens des Volkes. Beide wehrten sich gegen das Eindringen neuer Ideen und den Ansturm feindlicher Mächte. Unentschlossenheit, Heuchelei und Verlogenheit waren bei beiden weniger der Ausdruck persönlicher Schwäche als vielmehr einer völligen Unmöglichkeit, sich auf den ererbten Positionen zu behaupten.
    Und wie verhielt es sich mit den Frauen? In noch höherem Grade als Antoinette wurde Alexandra durch die Ehe mit dem unbeschränkten Herrscher eines mächtigen Landes auf die höchsten Gipfel der Träumereien einer Prinzessin, und noch dazu einer so provinziellen wie der hessischen, emporgehoben. Beide waren bis zum Rand vom Bewußtsein ihrer hohen Mission erfüllt. Antoinette mehr auf frivole Art, Alexandra im Geiste der protestantischen Heuchelei, übersetzt in die kirchlich-slawische Sprache. Mißerfolge der Regierung und wachsende Unzufriedenheit des Volkes erschütterten erbarmungslos jene phantastische Welt, welche diese fanatischen, aber letzten Endes doch nur hühnenhaft kleinen Gehirne sich aufgebaut hatten. Daher die wachsende Erbitterung, die nagende Feindseligkeit gegen ein fremdes Volk, das sich vor ihnen nicht gebeugt hatte; Haß gegen solche Minister, die auch nur im geringsten dieser feindlichen Welt, das heißt dem Lande Rechnung tragen wollten; Entfremdung sogar vom eigenen Hofe und ewiges Gekränktsein durch den Ehemann, der die in der Brautzeit erweckten Hoffnungen nicht erfüllt hat.
    Historiker und Biographen psychologischer Richtung suchen und entdecken nicht selten Rein-Persönliches und Zufälliges dort, wo nur eine Brechung großer historischer Kräfte in einer Persönlichkeit stattfindet. Es ist dies derselbe Sehfehler wie bei den Hofleuten, die in dem letzten russischen Zaren einen geborenen "Pechvogel" erblickten. Er selbst glaubte ebenfalls, daß er unter einem ungünstigen Stern geboren sei. In Wirklichkeit ergaben sich seine Mißerfolge aus den Widersprüchen zwischen den alten Zielen, die ihm seine Ahnen vererbt hatten, und den neuen historischen Bedingungen, in die er hineingestellt war. Wenn die Alten sagten, Jupiter raube dem den Verstand, den er vernichten wolle, sprachen sie in der Form des Aberglaubens nur das Ergebnis tiefer historischer Beobachtungen aus. Die Worte Goethes: "Vernunft wird Unsinn" enthalten den gleichen Gedanken von dem unpersönlichen Jupiter der historischen Dialektik, der überlebten historischen Institutionen den Sinn raubt und deren Verteidiger zu Mißerfolg verurteilt. Die Rollentexte der Romanows und der Capets waren durch die Entwicklung des historischen Dramas vorgeschrieben. Den Akteuren blieben höchstens die Nuancen der Interpretation übrig. Das Mißgeschick Nikolaus' wie Ludwigs wurzelte nicht in ihrem persönlichen Horoskop, sondern in dem historischen Horoskop der ständisch-bürokratischen Monarchie. Sie waren vor allem Letztgeborene des Absolutismus. Ihre moralische Nichtigkeit, die sich aus ihrem dynastischen Epigonentum ergab, verlieh diesem einen besonders unheilvollen Charakter.
    Man könnte erwidern: hätte Alexander III. weniger getrunken, er hätte viel länger gelebt, die Revolution wäre mit einem völlig andersgearteten Zaren zusammengestoßen, und eine Parallele mit Ludwig XVI. wäre nicht gegeben. Ein solcher Einwand aber berührt das oben Dargestellte nicht im geringsten. Wir beabsichtigen ja nicht, die Bedeutung des Persönlichen in der Mechanik des historischen Prozesses oder die Bedeutung des Zufälligen im Persönlichen wegzuleugnen. Es ist nur nötig, daß man die historische Persönlichkeit mit all ihren Besonderheiten nicht als eine bloße Aufzählung psychologischer Züge nimmt, sondern als eine aus bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen entstandene und auf diese reagierende lebendige Realität. Wie eine Rose nicht aufhört zu duften, weil ein Naturwissenschaftler darauf hinweist, durch welche Ingredienzien

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