Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Techtelmechtels mit Rom, der Verschwörung mit den aufrührerischen Irländern und der Intrigen am französischen Hof beschuldigt wurde.
England aber hatte immerhin Jahrhunderte zu seiner Verfügung. Es war der Pionier der bürgerlichen Zivilisation. Es stand nicht unter dem Joch anderer Nationen, im Gegenteil, hielt eher diese unter seinem Joch. Es beutete die ganze Welt aus. Das milderte die inneren Widersprüche, häufte Konservativismus an, sorgte für Überfluß und Stetigkeit der Fettablagerungen in Form der parasitären Schicht der Lords, der Monarchie, der Lordkammer und der Staatskirche. Infolge der historisch ganz besonders bevorzugten Entwicklung des bürgerlichen England ist der mit Elastizität verbundene Konservativismus aus den Institutionen in die Sitten übergegangen. Darüber sich zu begeistern haben manche kontinentalen Philister von der Art des russischen Professors Miljukow oder des Austromarxisten Otto Bauer bis auf den heutigen Tag nicht aufgehört. Aber gerade jetzt, wo England, in der ganzen Welt bedrängt, die letzten Hilfsquellen seiner ehemaligen Vorzugsstellung vergeudet, verliert sein Konservativismus die Elastizität und verwandelt sich, selbst in Gestalt der Labouristen, in die unbändigste Reaktion. Angesichts der indischen Revolution findet der "Sozialist" Macdonald keine anderen Methoden als jene, die Nikolaus II. der russischen Revolution entgegenstellte.
Nur ein Blinder kann übersehen, daß Großbritannien gigantischen revolutionären Erschütterungen entgegengeht, wobei die Trümmer seines Konservativismus, seiner Weltherrschaft und seiner heutigen Staatsmaschinerie spurlos untergehen werden. Nicht im geringsten schlechter und nicht weniger von Blindheit geschlagen als seinerzeit Nikolaus, bereitet Macdonald diese Erschütterungen vor. Wie wir sehen, ist dies ebenfalls keine schlechte Illustration zur Frage nach der Rolle der "freien" Persönlichkeit in der Geschichte!
Wie aber sollte Rußland mit seiner verspäteten Entwicklung, als Nachhut aller europäischen Nationen, mit dem dürftigen ökonomischen Fundament unter den Füßen, einen "elastischen Konservativismus" der gesellschaftlichen Formen -offenbar den besonderen Bedürfnissen des professoralen Liberalismus und dessen linken Schattens, des reformistischen Sozialismus, entsprechend herausgebildet haben? Rußland war zu lange zurückgeblieben, - und als der Weltimperialismus es mit seiner Schraube erfaßte, war es gezwungen, seine politische Geschichte in einem sehr zusammengedrängten Lehrkursus durchzunehmen. Wenn Nikolaus dem Liberalismus entgegengekommen wäre und Stürmer durch Miljukow ersetzt hätte, die Entwicklung der Ereignisse wäre in der Form etwas anders geworden, aber nicht in ihrem Wesen. Hatte doch einst Ludwig gerade diesen Weg in der zweiten Etappe der Revolution beschritten, indem er die Gironde an die Regierung berief: das hat aber weder Ludwig selbst, noch später die Gironde vor der Guillotine bewahrt. Die angehäuften sozialen Widersprüche mußten nach außen explodieren und explodierend die Aufräumungsarbeit zu Ende führen. Vor dem Ansturm der Volksmassen, die ihre Unbill und Plagen, ihre Demütigungen, Leidenschaften, Hoffnungen, Illusionen und Ziele endlich in die offene Arena hinausgetragen hatten, konnten die Kombinationen der Spitzen der Monarchie und des Liberalismus nur von episodischer Bedeutung sein und allenfalls die Reihenfolge der Ereignisse, vielleicht auch deren Zahl beeinflussen, nicht aber die Gesamtentwicklung des Dramas und noch weniger dessen unerbittliche Lösung.
Kapitel 7: Fünf Tage (23.-27. Februar 1917)
Der 23. Februar war internationaler Frauentag. In sozialdemokratischen Kreisen war geplant, ihn in üblicher Weise, durch Versammlungen, Reden und Flugblätter, auszuzeichnen. Keinem kam in den Sinn, daß der Frauentag zum ersten Tag der Revolution werden sollte. Nicht eine einzige Organisation rief an diesem Tage zu Streiks auf Mehr noch, die bolschewistische Organisation, und zwar eine der aktivsten, das Komitee des durchweg proletarischen Wyborger Bezirks, hielt entschieden vor Streiks zurück. Nach dem Zeugnis Kajurows, eines der Arbeiterführer dieses Bezirkes, war die Stimmung der Massen sehr - gespannt, jeder Streik drohte in einen offenen Zusammenstoß umzuschlagen Da aber das Komitee der Ansicht war, die Zeit für Kampfhandlungen sei noch nicht gekommen, die Partei noch nicht genügend gefestigt, die Arbeiter hätten mit den Soldaten zu wenig Verbindungen,
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