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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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ihm selbst geschaffene Duma wiederholt auf und vollzog, sobald die Revolution erlahmt war, einen Staatsstreich. Im Laufe von drei Vierteln eines Jahrhunderts -rechnet man seit den Reformen Alexander II. geht ein bald unterirdischer, bald offener Kampf der geschichtlichen Kräfte, der weit über die persönlichen Eigenschaften einzelner Zaren hinausragt und mit dem Sturz der Monarchie endet. Nur in dem geschichtlichen Rahmen dieses Prozesses kann man den Platz für einzelne Zaren, deren Charaktere und "Biographien" finden.
    Auch der selbstherrlichste aller Despoten ähnelt recht wenig einer "freien" Individualität, die willkürlich den Ereignissen ihren Stempel aufdrückt. Er ist stets nur der gekrönte Agent der privilegierten Klassen, die die Gesellschaft nach ihrem Bilde formen. Haben diese Klassen ihre Mission nicht erschöpft, dann steht auch die Monarchie fest und ist selbstsicher. Dann verfügt sie über einen zuverlässigen Machtapparat und über eine unbeschränkte Auswahl an Exekutoren, weil die fähigsten Menschen noch nicht in das Lager des Feindes übergegangen sind. Dann kann der Monarch persönlich oder vermittels seiner Günstlinge zum Träger großer und fortschrittlicher historischer Aufgaben werden. Anders, wenn die Sonne der alten Gesellschaft sich endgültig dem Untergange zuneigt: aus Organisatoren des nationalen Lebens verwandeln sich die privilegierten Klassen in eine parasitäre Wucherung; mit dem Verlust ihrer führenden Funktion verlieren sie das Bewußtsein ihrer Mission und den Glauben an ihre Kräfte; die Unzufriedenheit mit sich selbst verwandeln sie in die Unzufriedenheit mit der Monarchie; die Dynastie wird isoliert; der Kreis der ihr bis zu Ende ergebenen Menschen verengt sich; ihr Niveau sinkt; die Gefahren aber nehmen unterdes zu; die neuen Kräfte bedrängen; die Monarchie büßt die Fähigkeit zu irgendeiner schöpferischen Initiative ein; sie verteidigt sich, kämpft, beginnt den Rückzug - ihre Handlungen bekommen den Automatismus primitiver Reflexe. Diesem Schicksal entging auch die halbasiatische Despotie der Romanows nicht.
    Betrachtet man den in Agonie liegenden Zarismus sozusagen im vertikalen Querschnitt, dann erscheint Nikolaus als die Achse einer Clique, deren Wurzeln in die hoffnungslos verdammte Vergangenheit zurückgehen. Im horizontalen Querschnitt der historischen Monarchie gesehen, ist Nikolaus das letzte Glied einer dynastischen Kette. Seine nächsten Ahnen, die zu ihrer Zeit ebenfalls den Kollektiven der Sippe, der Stände, der Bürokratie angehörten, wenn auch größeren, haben verschiedene Mittel und Methoden der Verwaltung ausprobiert, um das alte soziale Regime vor dem drohenden Schicksal zu bewahren, und haben trotzdem Nikolaus ein chaotisches Reich vermacht, in dessen Leib die Revolution reifte. Wenn ihm eine Wahl gelassen war, so nur zwischen den verschiedenen Wegen des Unterganges.
    Der Liberalismus träumte von einer Monarchie nach britischem Muster. Hat sich aber der Parlamentarismus an der Themse auf friedlich evolutionärem Wege entwickelt, oder ist er etwa die Frucht der "freien" Einsicht eines einzelnen Monarchen? Nein, er hat sich als Abschluß eines Kampfes herausgebildet, der Jahrhunderte gedauert und in dem einer der Könige sein Haupt am Kreuzwege lassen mußte.
    Die hier skizzierte historisch-psychologische Gegenüberstellung der Romanows und der Capets kann man mit vollem Erfolg auf das britische Königspaar aus der Epoche der ersten englischen Revolution ausdehnen. Karl 1. wies im wesentlichen die gleichen Züge auf, mit denen die Memoirenschreiber und Historiker mehr oder minder begründet Ludwig XVI. und Nikolaus II. bedenken. "Karl bleibt passiv", schreibt Montague, "gab dort nach, wo er keinen Widerstand zu leisten vermocht hätte, griff, wenn auch unwillig, zur Täuschung und gewann weder Popularität noch Vertrauen." "Er war kein stumpfer Mensch", sagt ein anderer Historiker über Karl Stuart, "doch fehlte ihm Charakterstärke ... Die Rolle des bösen Verhängnisses in seinem Leben spielte seine Frau, Henriette von Frankreich, die Schwester Ludwigs XIII., von den Ideen des Absolutismus noch tiefer durchdrungen als Karl ..." Wir wollen die Charakteristik dieses dritten - in chronologischer Reihenfolge ersten - Königspaares, das von der nationalen Revolution zermalmt wurde, nicht detaillieren. Vermerkt sei nur, daß auch in England der Haß sich vor allem gegen die Königin als eine Französin und Papistin konzentrierte, die des

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