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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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das Laboratorium der Gerichtsexpertise und das Notariatsarchiv vernichtet werden. Ein älterer Mann von düsterem Aussehen, dem Äußeren nach ein Arbeiter, erwiderte mürrisch: "Wir werden die Häuser und das Land verteilen können, auch ohne dein Archiv!" Wahrscheinlich ist die Episode literarisch abgerundet worden. Doch solcherart ältere Arbeiter, die die nötige Abfuhr zu geben wußten, gab es in der Menge nicht wenig. Sie selbst hatten keine Beziehung zur Brandstiftung des Bezirksgerichts: jedenfalls aber konnten solche "Exzesse" sie keineswegs schrecken. Sie bewaffneten die Massen nicht nur mit den nötigen Ideen gegen die zaristische Polizei, sondern auch gegen die liberalen Juristen, die die größte Angst davor hatten, daß im Feuer der Revolution die Notariatsakten des Eigentums verbrennen könnten. Diese namenlosen Politiker der Fabrik und der Straße waren nicht vom Himmel gefallen: man mußte sie erzogen haben.
    Die Ereignisse der letzten Februartage registrierend, bezeichnete auch die Ochrana die Bewegung als "elementar", das heißt als ohne planmäßige Leitung von oben; doch fügte sie gleich hinzu: "bei der allgemeinen Bearbeitung des Proletariats durch Propaganda." Diese Bewertung trifft den Kern: Die berufsmäßigen Kämpfer gegen die Revolution hatten, bevor sie die Zellen der befreiten Revolutionäre besetzten, das Antlitz des sich abwickelnden Prozesses schärfer erkannt als die Führer des Liberalismus.
    Die Mystik des Elementaren erklärt nichts. Um die Situation richtig einzuschätzen und den Moment des Ausholens g3-gen den Feind zu bestimmen, war es notwendig, daß die Masse, ihre führende Schicht, ihre eigenen Ansprüche an die historischen Ereignisse stellte und eigene Kriterien besaß, sie einzuschätzen. Mit anderen Worten, es war nicht die Masse an sich, sondern es war die Masse der Petrograder und der russischen Arbeiter im allgemeinen notwendig, die die Revolution von 1905 erlebt hatte und den Moskauer Dezemberaufstand von 1905, der an dem Semjonowski-Garderegiment zerschellte; es war notwendig, daß es in dieser Masse Arbeiter gegeben hat, die über die Erfahrung von 1905 nachgedacht, die konstitutionellen Illusionen der Liberalen und Menschewiki kritisiert, die Perspektive der Revolution sich angeeignet, Dutzende Male das Problem der Armee überlegt, aufmerksam verfolgt hatten, was in ihrer Umgebung vorging, die fähig waren, aus ihren Beobachtungen revolutionäre Schlüsse zu ziehen und sie den anderen zu vermitteln. Schließlich war notwendig, daß sich bei den Truppenteilen der Garnison fortgeschrittene Soldaten fanden, die in ihrer Vergangenheit von revolutionärer Propaganda erfaßt oder mindestens berührt worden waren.
    In jeder Fabrik, in jeder Werkstatt, in jeder Kompanie, in jeder Teestube, im Lazarett, in der Etappe und sogar in dem entvölkerten Dorfe ging eine molekulare Arbeit des revolutionären Gedankens vor sich. Überall gab es Deuter der Ereignisse, hauptsächlich Arbeiter, die man ausfragte, was es Neues gäbe, und von denen man das nötige Wort erwartete. Diese Häupter waren häufig sich selbst überlassen, nährten sich von Bruchteilen revolutionärer Verallgemeinerungen, zu denen sie auf verschiedenen Wegen kamen; selbst in liberalen Zeitungen lasen sie, was sie brauchten, zwischen den Zeilen heraus. Ihr Klasseninstinkt war durch politisches Kriterium geschärft, und führten sie auch nicht immer ihre Ideen zu Ende, so arbeitete ihr Gedanke doch unablässig und beharrlich stets in der gleichen Richtung. Elemente der Erfahrung, der Kritik, der Initiative, der Selbstaufopferung durchdrangen die Masse und bildeten die innere, dem oberflächlichen Blick unerreichbare, aber nichtsdestoweniger entscheidende Mechanik der revolutionären Bewegung als eines bewußten Prozesses.
    Den hochmütigen Politikern des Liberalismus und des gezähmten Sozialismus erscheint gewöhnlich alles, was in den Massen geschieht, als instinktiver Prozeß, wie wenn es sich um einen Ameisenhaufen oder Bienenstock handele. Tatsächlich war der Gedanke, der tief in den Arbeitern bohrte, viel kühner, weitsichtiger und bewußter als jener Ideenwulst, mit dem die gebildeten Klassen sich die Zeit vertrieben. Und mehr noch, dieser Gedanke war auch wissenschaftlich begründeter: nicht nur, weil er in großem Maße durch die Methoden des Marxismus befruchtet war, sondern vor allem, weil er sich dauernd von der lebendigen Erfahrung der Massen nährte, denen es bevorstand, bald die revolutionäre

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