Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Golizyn ein. Wie konnte sich die Regierung im Augenblick des wachsenden Druckes der Revolution zu einem solchen Schritt entschließen? Darüber hatte sich bei der regierenden Bürokratie schon längst eine feste Konzeption herausgebildet: "Ob wir mit dem Block gehen werden oder nicht, das ist der Arbeiterbewegung gegenüber belanglos. Mit dieser Bewegung kann man mit anderen Mitteln fertigwerden, und bisher ist das Ministerium des Innern mit ihr noch immer fertiggeworden." So sprach Goremykin schon im August 1915. Andererseits rechnete die Bürokratie damit, daß die Duma im Falle einer Auflösung sich zu keinerlei kühnen Schritten entschließen würde. Der Innenminister, Fürst Schtscherbatow, sagte, gleichfalls schon im August 1915, als die Auflösung der unzufriedenen Duma erwogen wurde: "Die Dumamitglieder werden sich wohl kaum zu offenem Ungehorsam entschließen. Sind sie doch in ihrer übergroßen Mehrzahl Feiglinge, die um ihre Haut zittern." Der Fürst drückte sich nicht sehr wählerisch, aber schließlich und endlich doch treffend aus. Im Kampfe gegen die liberale Opposition fühlte die Bürokratie also hinlänglich festen Boden unter den Füßen.
Am Morgen des 27. versammelten sich die durch die anwachsenden Ereignisse beunruhigten Deputierten zur fälligen Sitzung. Die Mehrzahl erfuhr erst hier, daß die Duma aufgelöst sei. Das war um so unerwarteter gekommen, als noch am Vorabend friedliche Verhandlungen geführt worden waren. "Trotzdem", schreibt mit Stolz Rodsjanko, "unterwarf sich die Duma dem Gesetz, immer noch hoffend, einen Ausweg aus der verwickelten Lage zu finden; sie faßte keinerlei Beschlüsse darüber, etwa, nicht auseinanderzugehen oder gewaltsam zur Sitzung zusammenzukommen." Die Deputierten versammelten sich zu einer Privatberatung, in der sie sich gegenseitig ihre Ohnmacht beichteten. Nicht ohne Schadenfreude erinnerte später der gemäßigte Liberale Schidlowski an den durch den linken Kadetten Nekrassow, den späteren Kampfgenossen Kerenskis, eingebrachten Antrag: "Errichtung einer militärischen Diktatur durch Übertragung der gesamten Macht auf einen populären General." Währenddessen unternahmen die Hauptlenker des progressiven Blocks, die bei der Privatberatung der Duma fehlten, einen praktischen Rettungsversuch; Sie machten dem nach Petrograd herbeigerufenen Großfürsten Michail den Vorschlag, die Diktatur zu übernehmen, den Ministerrat zur Demission zu "zwingen" und vom Zaren über die direkte Leitung die "huldvolle" Ernennung eines verantwortlichen Ministeriums zu fordern. In den Stunden, wo die ersten Garderegimenter sich erhoben, machten die Führer der liberalen Bourgeoisie den letzten Versuch, mit Hilfe einer dynastischen Diktatur den Aufstand zu unterdrücken und gleichzeitig auf Kosten der Revolution eine Verständigung mit der Monarchie zu treffen. Die "Unentschlossenheit des Großfürsten", beklagt sich Rodsjanko, "trug dazu bei, daß der günstige Moment verpaßt wurde."
Wie leicht die radikale Intelligenz an das, was sie ersehnte, geglaubt hat, bezeugt der parteilose Sozialist Suchanow, der zu jener Zeit im Taurischen Palais eine gewisse politische Rolle zu spielen begann. "Man teilte mir die hervorragendste politische Neuigkeit der Morgenstunden dieses unvergeßlichen Tages mit", erzählt er in seinen umfangreichen Erinnerungen, "das Dekret über die Dumaauflösung sei veröffentlicht, und die Duma habe es mit der Weigerung, auseinanderzugehen, beantwortet und ein Provisorisches Komitee gewählt." Das schreibt ein Mann, der das Taurische Palais fast nicht verlassen hat und dort. die bekannten Deputierten bei den Köpfen festhielt. Gleich Rodsjanko erklärt Miljukow in seiner Geschichte der Revolution kategorisch "Es wurde dort nach einer Reihe heißer Reden beschlossen, nicht aus Petrograd abzureisen, keinesfalls aber ist der Beschluß gefaßt worden, die Reich-Duma als Institution dürfe nicht auseinandergehen, wie die entstandene Legende lautet." "Nicht auseinanderzugehen" hätte bedeutet, irgendeine wenn auch verspätete Initiative zu ergreifen. "Nicht abzureisen" bedeutete, die Hände in Unschuld zu waschen und abzuwarten, welche Richtung die Ereignisse nehmen würden. Für die Vertrauensseligkeit Suchanows gibt es allerdings mildernde Umstände. Das Gerücht, die Duma habe den revolutionären Beschluß gefaßt, sich dem Zarenukas zu widersetzen, wurde in aller Hast von den Dumajournalisten durch ihr Informationsbulletin verbreitet, der damals infolge des
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