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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Charakter des Aufstandes illustriert Mstislawski durch ein bemerkenswertes Beispiel: Als der "Verband der Offiziere des 27. Februar", der gleich nach dein Umsturz entstanden war, durch eine Umfrage festzustellen versuchte, wer als erster das Wolynski-Regiment auf die Straße geführt hatte, kamen sieben Angaben über sieben Initiatoren dieser entscheidenden Aktion. Es ist höchst wahrscheinlich, möchten wir unsererseits hinzufügen, daß ein Teilchen der Initiative tatsächlich mehreren Soldaten gehörte; wobei nicht ausgeschlossen ist, daß der Hauptinitiator in den Straßenkämpfen fiel, seinen Namen ins Dunkel mitnehmend. Dies aber schmälert das historische Gewicht seiner namenlosen Initiative nicht. Wichtiger ist noch eine andere Seite der Sache, die uns über die Mauern der Kaserne hinausführt. Der Aufstand der Gardebataillone, der zur Überraschung der liberalen und legal-sozialistischen Kreise entbrannte, kam gar nicht unerwartet für die Arbeiter. Ohne deren Aufstand wäre auch das Wolynski-Regiment nicht auf die Straße gegangen. Der Zusammenstoß der Arbeiter mit den Kosaken, den der Advokat von seinem Fenster aus beobachtet und von dem er telephonisch einem Deputierten Mitteilung gemacht hatte, erschien beiden wie die Episode eines unpersönlichen Prozesses: die Heuschrecken der Fabriken sind mit den Heuschrecken der Kaserne zusammengeprallt. Anders aber erschien die Sache dem Kosaken, der es gewagt hatte, dem Arbeiter zuzublinzeln, wie dem Arbeiter, der sofort entschied, der Kosak "hat gut geblinzelt" ... Das molekulare Ineinanderdringen von Armee und Volk ging ununterbrochen vor sich. Die Arbeiter verfolgten die Temperatur der Armee und fühlten sofort das Nahen des kritischen Punktes. Das verlieh auch dem Ansturm der auf den Sieg vertrauenden Massen diese unwiderstehliche Kraft.
    Hier müssen wir die treffende Bemerkung eines liberal en Würdenträgers anführen, der versuchte, das Fazit seiner Februarbeobachtungen zu ziehen: "Es ist üblich, zu sagen: die Bewegung hat elementar begonnen, die Soldaten sind von selbst auf die Straße gegangen. Ich kann dem keinesfalls zustimmen. Was will auch das Wörtchen "elementar" besagen? ... Die "Urzeugung" ist in der Soziologie noch unmöglicher als in der Naturwissenschaft. Weil kein revolutionärer Führer von Namen der Bewegung sein Etikett anhängen kann, wird sie nicht unpersönlich, sondern nur namenlos." Diese Fragestellung, die unvergleichlich ernster ist als die Hinweise Miljukows auf deutsche Agenten und russische Elementargewalten, gehört einem ehemaligen Staatsanwalt, der im Amte eines zaristischen Senators der Revolution begegnete. Vielleicht hat gerade die Gerichtserfahrung Sawadski erlaubt, zu der Einsicht zu kommen, daß der revolutionäre Aufstand weder auf Kommando ausländischer Agenten, noch als unpersönlicher Naturprozeß entstehen konnte.
    Der gleiche Autor führt zwei Episoden an, die es ihm ermöglichten, gleichsam durch das Schlüsselloch ins Laboratorium des Revolutionsprozesses zu blicken. Am Freitag, dem 24. Februar, als oben noch keiner einen Umsturz für die nächsten Tage erwartete, bog die Straßenbahn, in der der Senator saß, plötzlich mit solchem Krach, daß die Scheiben zitterten und eine zerbrach, vom Litejny-Prospekt in eine Nebenstraße ein und blieb stehen. Der Schaffner forderte alle auf, auszusteigen. "Der Wagen wird nicht weiterfahren." Die Passagiere protestierten, schimpften, mußten aber aussteigen. "Ich sehe noch jetzt das Gesicht des sich ausschweigenden Schaffners: bös-entschlossen, irgendein Wolfsgesicht." Der Straßenbahnverkehr stockte überall, soweit der Blick reichte. Dieser entschlossene Schaffner, an dem der liberale Würdenträger schon das "Wolfsgesicht" sah, muß ein hochentwickeltes Pflichtbewußtsein besessen haben, um auf der Straße des kaiserlichen Petrograds, während des Krieges, ganz allein den mit Beamten gefüllten Wagen zum Stehen zu bringen. Genau solche Schaffner haben den Wagen der Monarchie zum Stehen gebracht, ungefähr mit den gleichen Worten: "Der Wagen wird nicht weiterfahren!", und die Bürokratie ausgesetzt, ohne in der Eile große Unterschiede zwischen Gendarmeriegeneralen und liberalen Senatoren zu machen. Der Schaffner vom Litejny-Prospekt war ein bewußter Faktor der Geschichte. Und man mußte ihn vorher erzogen haben.
    Während des Brandes des Bezirksgerichts drückte ein liberaler Jurist, aus dem Kreise desselben Senators, auf der Straße sein Bedauern darüber aus, daß

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