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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Arena zu betreten. Die Wissenschaftlichkeit des Gedankens besteht darin, daß er den objektiven Prozessen entspricht und diese Prozesse zu beeinflussen und zu lenken fähig ist. Besaßen denn die Ideen der regierenden Kreise, die sich an der Apokalypse inspirierten und an die Träume Rasputins glaubten, auch nur im geringsten diese Eigenschaften? Oder waren etwa die Ideen des Liberalismus wissenschaftlich begründet, der da hoffte, daß das rückständige Rußland, indem es an dem Gemetzel der kapitalistischen Giganten teilnahm, fähig werden würde, gleichzeitig den Sieg und den Parlamentarismus zu erringen? Oder vielleicht war das geistige Leben der Intellektuellenkreise wissenschaftlich, die sich sklavisch dem von Kind auf altersschwachen Liberalismus anpaßten, wobei sie ihre scheinbare Selbständigkeit durch längst abgestandene Redensarten schützten? Wahrhaftig, hier herrschte das Reich geistiger Starrheit, der Gespenster, des Aberglaubens, der Fiktionen, wenn man will, das Reich der "Elementargewalt". Haben wir mithin nicht durchaus das Recht, die liberale Philosophie der Februarrevolution völlig umzukehren? Ja, wir haben das Recht zu sagen: während die offizielle Gesellschaft, dieser ganze vielstöckige Überbau der herrschenden Klassen, Schichten, Gruppen, Parteien und Cliquen, tagein, tagaus in Trägheit und Automatismus lebte, sich die Zeit mit Resten abgenutzter Ideen vertrieb, taub gegen die unabwendbaren Forderungen der Entwicklung, sich von Gespenstervisionen blenden ließ und nichts voraussah, - vollzog sich in den Arbeitermassen ein selbständiger und tiefer Prozeß des Anwachsens nicht nur des Hasses gegen die Herrschenden, sondern auch der kritischen Erkenntnis von deren Ohnmacht, der Anhäufung von Erfahrung und schöpferischer Einsicht, die mit dem revolutionären Aufstand und seinem Siege abschloß.
    Auf die oben gestellte Frage: wer hat den Februaraufstand geleitet, können wir folglich mit genügender Bestimmtheit antworten: die aufgeklärten und gestählten Arbeiter, die hauptsächlich von der Partei Lenins erzogen worden waren. Aber wir müssen dabei hinzufügen: diese Leitung genügte, um dem Aufstande den Sieg zu sichern, doch reichte sie nicht aus, um die Führung der Revolution von Anfang an in die Hände der proletarischen Avantgarde zu legen.

Kapitel 9: Das Paradoxon der Februarrevolution
    Der Aufstand hatte gesiegt. Aber wem übergab er die der Monarchie entrissene Macht? Hier kommen wir zum zentralen Problem des Februarumsturzes: wie und weshalb geriet die Macht in die Hände der liberalen Bourgeoisie?
    Den am 23. Februar begonnenen Unruhen maßen die Dumakreise und die bürgerliche "Gesellschaft" keine Bedeutung bei. Die liberalen Deputierten und die patriotischen Journalisten versammelten sich wie sonst in den Salons, diskutierten über Triest und Fiume und betonten immer wieder die Bedeutung der Dardanellen für Rußland. Während der Ukas über die Auflösung der Duma bereits unterschrieben war, beriet die Dumakommission noch immer dringlich die Frage der Übergabe des Ernährungswesens an die städtische Selbstverwaltung. Weniger als zwölf Stunden vor dem Aufstande der Gardebataillone hörte die "Gesellschaft Slawischer Gemeinschaft" friedlich den Jahresbericht an. "Erst als ich aus dieser Versammlung zu Fuß heimkehrte", erwähnt einer der Deputierten, "verblüffte mich irgendeine unheimliche Stille und Leere in den sonst so belebten Straßen." Eine unheimliche Leere bildete sich um die alten herrschenden Klassen und beklemmte auch schon die Herzen der morgigen Nachfolger.
    Am 26. wurde der Ernst der Bewegung sowohl der Regierung wie den Liberalen klar. An diesem Tage werden zwischen Ministern und Dumamitgliedern Verhandlungen über ein Abkommen geführt, dessen Schleier die Liberalen auch später nie gelüftet haben. Protopopow gab bei seiner Vernehmung an, die Führer des Dumablocks hätten, wie zuvor, die Ernennung neuer Minister aus Personen, die das Vertrauen der Gesellschaft genießen, gefordert. "Diese Maßnahme würde das Volk vielleicht beruhigen." Doch der 26. brachte, wie uns bekannt, eine gewisse Stockung in der Entwicklung der Revolution, und die Regierung fühlte sich für einen kurzen Moment fester. Als Rodsjanko bei Golizyn erschien, um ihn zum Rücktritt zu bewegen, wies der Premier als Antwort auf eine auf dem Tisch liegende Mappe hin, die das fertige Dekret über die Dumaauflösung enthielt, mit der Unterschrift Nikolaus', aber ohne Datum. Das Datum trug

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