Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
nur die Krone oder auch den Kopf garantieren? Der unvergleichliche Kammerherr antwortete, er könne dem Monarchen nur versprechen, wenn nötig, mit ihm zusammen zu sterben. Dazu verstand sich der Prätendent keinesfalls. Als er nach Umarmungen mit Rodsjanko zu den ihn erwartenden Deputierten hinaustrat, erklärte Michail Romanow "ziemlich fest", er verzichte auf das ihm angebotene hohe, aber gefahrvolle Amt. Da sprang Kerenski, der bei diesen Verhandlungen das Gewissen der Demokratie verkörperte, begeistert vom Stuhl auf mit den Worten: "Hoheit, Sie sind ein edler Mann!" und schwor, er werde dies von nun an überall verkünden. "Das Pathos Kerenskis", kommentierte Miljukow trocken, "harmonierte schlecht mit der Prosa des getroffenen Entschlusses." Das läßt sich nicht bestreiten. Für Pathos bot der Text dieses Zwischenspiels allerdings keinen Raum. Der oben angestellte Vergleich mit einer Posse im Winkel einer antiken Arena muß durch den Hinweis ergänzt werden, daß die Bühne durch einen Wandschirm in zwei Teile geteilt war: in dem einen bettelten die Revolutionäre die
Liberalen an, die Revolution zu retten, in dem anderen flehten die Liberalen die Monarchie an, den Liberalismus zu retten.
Die Vertreter des Exekutivkomitees waren aufrichtig darüber erstaunt, daß ein so aufgeklärter und weitsichtiger Mann wie Miljukow sich irgendeiner Monarchie wegen widerspenstig zeigte und sogar bereit war, auf die Macht zu verzichten, wenn man ihm nicht einen Romanow dazu gäbe. Miljukows Monarchismus war jedoch weder doktrinärer noch romantischer Art; im Gegenteil, er ergab sich aus der nackten Berechnung der erschrockenen Besitzenden. In ihrer Nacktheit bestand eben ihre hoffnungslose Schwäche. Der Geschichtsschreiber Miljukow konnte sich allerdings darauf berufen, daß der Führer der französischen revolutionären Bourgeoisie, Mirabeau, seinerzeit ebenfalls bestrebt war, die Revolution mit dem König auszusöhnen. Der Kern war auch dort Angst der Besitzenden um den Besitz: es war vorsichtiger, ihn durch die Monarchie zu decken, so wie die Monarchie sich mit der Kirche deckte.
Doch besaß die Tradition der königlichen Macht m Frankreich im Jahre 1789 noch die Anerkennung des ganzen Volkes, abgesehen davon, daß Europa ringsum noch monarchistisch war. Sich an den König haltend, stand die französische Bourgeoisie auf dem gleichen Boden mit dem Volke, mindestens in dem Sinne, daß sie dessen Vorurteile gegen diese ausnutzte. Ganz anders war die Lage im Jahre 1917 in Rußland. Abgesehen von den Katastrophen und Havarien des monarchistischen Regimes in verschiedenen Ländern, war schon im Jahre 1905 die russische Monarchie selbst in nichtwiedergutzumachender Weise angeschlagen worden. Nach dem 9. Januar verfluchte der Pope Gapon den Zaren und dessen "Schlangenbrut". Der Sowjet der Arbeiterdeputierten des Jahres 1905 stand offen auf republikanischem Boden. Die monarchistischen Gefühle der Bauernschaft, auf die der Zarismus lange Zeit gebaut hatte und mit denen die Bourgeoisie ihren Monarchismus deckte, erwiesen sich einfach als nicht existierend. Die kriegerische Konterrevolution, die später den Kopf erheben wird, sagt sich bereits seit Kornilow, wenn auch heuchlerisch, dafür um so demonstrativer, von der Zarenmacht los: so wenig monarchistische Wurzeln waren im Volke geblieben. Doch die gleiche Revolution von 1905, die den Monarchismus derart tödlich trat untergrub auch für immer die schwankenden republikanischen Tendenzen der "fortgeschrittenen" Bourgeoisie. Einander widersprechend, ergänzten sich diese zwei Prozesse. Von den ersten Stunden der Februarrevolution an ihren Untergang fühlend, griff die Bourgeoisie nach einem Strohhalm. Sie brauchte die Monarchie nicht deshalb, weil diese der Glaube war, den sie mit dem Volke gemein hatte; im Gegenteil, die Bourgeoisie hatte dem Glauben des Volkes nichts mehr entgegenzuhalten vermocht als das gekrönte Phantom. Die "gebildeten" Klassen Rußlands haben die Arena der Revolution nicht als Verkünder eines rationellen Staates betreten, sondern. als Verteidiger mittelalterlicher Institutionen. Da sie weder im Volke noch in sich selbst eine Stütze hatten, suchten sie sie oben, über sich. Archimedes wollte die Erde umwälzen, wenn man ihm einen Stützpunkt gäbe. Miljukow dagegen suchte einen Stützpunkt, um das Stückchen gutsherrlicher Erde vor einer Umwälzung zu bewahren. Er fühlte sich dabei den verschrumpftesten zaristischen Generalen und den Hierarchen der
Weitere Kostenlose Bücher