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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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bürgerlicher Westler. Das Ziel seiner Partei sah er im Siege der europäischen Zivilisation in Rußland. Doch je weiter, um so mehr fürchtete er sich vor jenen revolutionären Wegen, die die Westvölker gegangen waren. Von seinem Westlertum blieb daher nichts als ein ohnmächtiger Neid auf den Westen.
    Die englische und französische Bourgeoisie hatten die neue Gesellschaft nach ihrem eigenen Ebenbilde errichtet. Die deutsche ist später gekommen, und sie mußte lange Zeit bei dem Haferabsud der Philosophie sitzen. Die Deutschen haben das Wort "Weltanschauung" ausgedacht, das weder die Engländer noch die Franzosen besitzen: während die westlichen Nationen eine neue Welt schufen, beschauten die Deutschen sie. Aber die in bezug auf politische Tätigkeit so dürftige deutsche Bourgeoisie schuf die klassische Philosophie - und dies ist keine geringe Einlage. Die russische Bourgeoisie kam noch später. Zwar hatte sie das deutsche Wort "Weltanschauung" ins Russische übersetzt, sogar in mehreren Varianten, aber damit zeigte sie nur noch krasser zugleich mit ihrer politischen Impotenz ihre tödliche philosophische Dürftigkeit. Sie importierte Ideen wie auch Technik, richtete für die letztere hohe Zölle ein und für die erste-ren eine Quarantäne der Angst. Diesen Zügen seiner Klasse politischen Ausdruck zu geben, war Miljukow berufen. Miljukow, ehemaliger Moskauer Geschichtsprofessor, Autor bedeutender wissenschaftlicher Arbeiten, später Begründer der aus dem Bunde liberaler Gutsbesitzer und dem Bund linker Intellektueller zusammengeschlossenen Kadettenpartei, war des unerträglichen, teils herrenhaften, teils intellektuellen Zuges jenes politischen Dilettantismus völlig bar, der die Mehrzahl der russischen liberalen Politiker kennzeichnet. Er nahm seinen Beruf sehr ernst, und schon das allein hob ihn hervor.
    In der Regel schämten sich die russischen Liberalen bis zum Jahre 1905, Liberale zu sein. Ein Anflug von Narodniki-tum und später von Marxismus diente ihnen lange als unentbehrliche Schutzfarbe. In dieser schamhaften, im Wesen oberflächlichen Kapitulation ziemlich breiter bürgerlicher Kreise, darunter auch einer Reihe jüngerer Industrieller vor dem Sozialismus, zeigte sich der Mangel innerer Sicherheit einer Klasse, die rechtzeitig genug gekommen war, um Millionen in ihren Händen zu konzentrieren, aber zu spät, um sich an die Spitze der Nation zu stellen. Die bärtigen Väter, reichgewordene Bauern und Krämer, häuften Besitz an, ohne über ihre gesellschaftliche Rolle nachzudenken. Die Söhne absolvierten die Universitäten in der Periode der vorrevolutionären Ideengärung, und als sie versuchten, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, zögerten sie, sich unter das in fortgeschrittenen Ländern bereits verbrauchte, verblaßte und geflickte Banner des Liberalismus zu stellen. Eine Zeitlang gaben sie einen Teil ihrer Seele und sogar ein Teilchen ihrer Einkünfte den Revolutionären hin. In noch höherem Maße betrifft das die Vertreter der freien Berufe: zu einem großen Teil machten sie in ihren jungen Jahren eine Periode sozialistischer Sympathien durch. Professor Miljukow aber hatte niemals an den Masern des Sozialismus gelitten. Er war ein organischer Bourgeois und schämte sich dessen nicht. Allerdings gab Miljukow in der ersten Epoche der Revolution nicht ganz die Hoffnung auf, mittels der gezähmten sozialistischen Parteien sich auf die revolutionären Massen stützen zu können. Witte erzählt, auf eine Forderung, die er bei der Bildung seines konstitutionellen Kabinetts im Oktober 1905 an die Kadetten stellte: "den revolutionären Schwanz abzuhacken", hätten ihm diese geantwortet, sie könnten ebensowenig auf die bewaffneten Kräfte der Revolution verzichten wie Witte selbst auf die Armee. Im Kern der Sache war das schon damals Hochstapelei: um ihren Preis zu steigern, schreckten die Kadetten Witte mit den Massen vor denen sie selbst Angst hatten. Gerade auf Grund der Erfahrung des Jahres 1905 hatte Miljukow sich überzeugt: so stark die liberalen Sympathien der sozialistischen Gruppen der Intelligenz auch sein mochten, die wahren Kräfte der Revolution, die Massen, werden ihre Waffen niemals der Bourgeoisie ausliefern und, je besser bewaffnet, eine um so größere Gefahr für diese bilden. Indem er offen proklamierte, die rote Fahne sei ein roter Lappen, beendete Miljukow mit sichtbarer Erleichterung den Roman, den er eigentlich niemals ernstlich begonnen hatte.
    Die Losgelöstheit

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