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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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des Exekutivkomitees, daß es sich für einen Sozialisten nicht schicke, offiziell ein Zipfelchen Macht aus den Händen der Dumamitglieder entgegenzunehmen, die soeben aus den Händen der Sozialisten die gesamte Macht empfangen hatten. Kerenski möge es lieber auf seine eigene Verantwortung tun. Wahrhaftig, diese Herren fanden mit untrüglichem Instinkt aus jeder Situation einen möglichst verzwickten und falschen Ausweg. Kerenski jedoch wollte nicht in der Jacke eines radikalen Deputierten in die Regierung gehen; er brauchte den Mantel eines Bevollmächtigten der siegreichen Revolution. Um nicht auf Widerstand zu stoßen, wandte er sich um die Sanktion weder an die Partei, zu der er sich bekannte, noch an das Exekutivkomitee, als dessen stellvertretender Vorsitzender er galt. Ohne die Führer darauf vorbereitet zu haben, nahm er in der Plenarsitzung des Sowjets, der in den ersten Tagen noch ein chaotisches Meeting darstellte, das Wort zu einer außerordentlichen Erklärung, und in einer Rede, die die einen als wirr, die anderen als hysterisch bezeichneten, was allerdings miteinander nicht in Widerspruch steht, forderte er für sich das Vertrauen, sprach von seiner allgemeinen Bereitschaft, für die Revolution zu sterben, und von der unmittelbaren Bereitschaft, das Portefeuille des Justizministers anzunehmen. Es genügte die Erwähnung der Notwendigkeit einer vollständigen politischen Amnestie und des Gerichtes über die zaristischen Würdenträger, um bei der unerfahrenen und von niemandem geleiteten Versammlung stürmischen Applaus hervorzurufen. "Diese Farce", schrieb später Schljapnikow, "löste bei vielen tiefe Entrüstung und Ekel gegen Kerenski aus." Aber niemand widersprach ihm: nachdem sie die Macht der Bourgeoisie ausgeliefert hatten, vermieden es die Sozialisten, wie wir wissen, diese Frage vor den Massen zu stellen. Eine Abstimmung fand nicht statt. Kerenski beschloß, den Applaus als Vertrauensmandat zu deuten. Auf seine Weise hatte er recht. Der Sowjet war zweifellos für den Eintritt der Sozialisten in das Ministerium, weil er darin einen Schritt zur Liquidierung der bürgerlichen Regierung erblickte, mit der er sich keinen Augenblick abfinden konnte. So oder so, die offizielle Machtdoktrin umstoßend, nahm Kerenski am 2. März den Posten des Justizministers an. "Mit seiner Ernennung", erzählt der Oktobrist Schidlowski, "war er sehr zufrieden, und ich erinnere mich sehr gut, wie er im Raume des Provisorischen Komitees, in einen Stuhl gelehnt, leidenschaftlich davon sprach, auf welch unerreichbar hohes Piedestal er Rußlands Justiz stellen werde." Das hat er in der Tat einige Monate später im Prozeß gegen die Bolschewiki bewiesen.
    Der Menschewik Tschcheidse, dem die Liberalen, geleitet von allzu durchsichtiger Berechnung und der internationalen Tradition, im schwierigen Augenblick das Arbeitsministerium aufzwingen wollten, lehnte kategorisch ab und blieb Vorsitzender des Sowjets der Deputierten. Weniger glänzend als Kerenski, war Tschcheidse doch aus ernsterem Material gemacht.
    Die Achse der Provisorischen Regierung, wenn auch nicht formell ihr Haupt, wurde Miljukow, der unbestrittene Führer der Kadettenpartei. "Miljukow war mit seinen übrigen Ministerkollegen überhaupt nicht zu vergleichen", schrieb der Kadett Nabokow, nachdem er bereits mit Miljukow gebrochen hatte, "sowohl als geistige Kraft, wie als Mann von ungeheurem, fast unerschöpflichem Wissen und weitem Horizont." Suchanow, der Miljukow für den Zusammenbruch des russischen Liberalismus persönlich verantwortlich machte, schrieb gleichzeitig: "Miljukow war damals die zentrale Figur, Herz und Hirn aller bürgerlichen politischen Kreise ... Ohne ihn würde es in der ersten Periode der Revolution keine bürgerliche Politik gegeben haben." Bei all ihrer übermäßigen Geschraubtheit kennzeichnen diese Aussprüche die unbestrittene Überlegenheit Miljukows vor den übrigen Politikern der russischen Bourgeoisie. Seine Stärke bestand in dem, was auch seine Schwäche ausmachte: vollständiger und vollkommener als die anderen drückte er in der Sprache der Politik das Schicksal der russischen Bourgeoisie aus, das heißt ihre historische Ausweglosigkeit. Wenn die Menschewiki jammerten, Miljukow habe den russischen Liberalismus zugrunde gerichtet, so kann man mit mehr Recht behaupten, der Liberalismus habe Miljukow zugrunde gerichtet.
    Trotz seines für die imperialistischen Zwecke aufgewärmten Neoslawismus blieb Miljukow stets ein

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