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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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der sogenannten "Intelligenz" vom Volke war eines der traditionellen Themen der russischen Journalistik, wobei die Liberalen, im Gegensatz zu den Sozialisten, unter Intelligenz alle "gebildeten", das heißt besitzenden Klassen verstanden. Nachdem diese Losgelöstheit während der ersten Revolution sich den Liberalen in so katastrophaler Weise offenbart hatte, lebten die Ideologen der "gebildeten" Klassen gleichsam in ständiger Erwartung des Jüngsten Gerichts. Ein liberaler Schriftsteller, ein an die Konventionen der Politik nicht gebundener Philosoph, hat die Angst vor den Massen mit einer Besessenheit ausgesprochen, die an die reaktionäre Epilepsie Dostojewskis erinnert. "So wie wir sind, können wir nicht nur nicht an eine Verschmelzung mit dem Volke denken - fürchten müssen wir es, mehr als alle Hinrichtungen der Regierung, und jene Macht segnen, die uns durch ihre Bajonette und Gefängnisse vor der Volkswut schützt." Konnten die Liberalen bei einem solchen politischen Selbstgefühl davon träumen, die revolutionäre Nation zu leiten? Die ganze Politik Miljukows ist vom Stempel der Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Im Augenblick der nationalen Krise denkt die von ihm geführte Partei nur daran, wie dem Schlage auszuweichen, nicht aber, wie ihn zu führen.
    Als Schriftsteller ist Miljukow schwerfällig, weitschweifig und ermüdend. Nicht anders auch als Redner. Dekorativ ist er nicht. Das könnte ein Plus sein, wenn die engherzige Politik Miljukows nicht so offensichtlich der Maskierung bedurft oder wenn er mindestens die objektive Deckung einer großen Tradition besessen hätte: doch er besaß nicht einmal die kleine. Die offizielle Politik in Frankreich, die Quintessenz bürgerlichen Egoismus und Verräterei, hat zwei mächtige Stützen: Tradition und Rhetorik. Miteinander multipliziert umgeben sie jeden bürgerlichen Politiker, selbst ein so prosaisches Faktotum des Großkapitals wie Poincare, mit einer schützenden Hülle. Es ist nicht Miljukows Schuld, daß er keine pathetischen Vorfahren besaß und gezwungen war, die Politik des bürgerlichen Egoismus an der Grenze zwischen Europa und Asien durchzuführen.
    "Neben den Sympathien für Kerenski", lesen wir in den Erinnerungen des Sozialrevolutionärs Sokolow über die Februarrevolution, "existierte von Anfang an eine große, unverhüllte und in ihrer Art seltsame Antipathie gegen Miljukow. Mir war und ist es auch jetzt noch unverständlich, weshalb dieser ehrwürdige Politiker so unpopulär war." Hätten die Philister den Grund ihrer Begeisterung für Kerenski und ihres Unwillens gegen Miljukow begreifen können, sie hätten aufgehört, Philister zu sein. Der Spießbürger liebte Miljukow deshalb nicht, weil dieser zu prosaisch und nüchtern, ohne Beschönigung, das politische Wesen der russischen Bourgeoisie wiedergab. Sich in dem Miljukowschen Spiegel betrachtend, sah der Bürger, daß er grau, eigennützig, feige war, und er fühlte sich, wie das üblich ist, durch den Spiegel beleidigt.
    Miljukow, dem die unzufriedenen Grimassen des liberalen Bürgers nicht verborgen blieben, sagte seinerseits ruhig und sicher: "Der Spießer ist dumm." Er brachte diese Worte ohne Gereiztheit vor, fast zärtlich, als wollte er sagen: "Wenn mich der Spießer heute noch nicht versteht, schadet es nichts, er wird es später." In Miljukow lebte die gut fundierte Gewißheit, daß der Bürger ihn nicht verraten und ihm, der Logik der Dinge gehorchend, folgen werde, denn ihm blieb kein anderer Weg. Und tatsächlich: nach dem Februarumsturz folgten alle bürgerlichen Parteien, sogar, wenn auch schimpfend und mitunter fluchend, die rechten, dem Führer der Kadetten.
    Anders verhielt es sich mit dem demokratischen Politiker sozialistischer Färbung, mit einem Suchanow. Das war kein gewöhnlicher Spießer, im Gegenteil, ein Berufspolitiker, in seinem kleinen Handwerk ziemlich gewitzt. "Gescheit" konnte dieser Politiker nicht erscheinen, denn zu augenfällig war der ständige Widerspruch zwischen dem, was er woll-te, und dem, was er erreichte. Aber er klügelte, verwirrte, langweilte. Um ihn zum Mitgehen zu bewegen, mußte man ihn täuschen, indem man ihm nicht nur seine volle Selbständigkeit zubilligte, sondern ihn sogar des unmäßigen Kom-mandierens, der Eigenmächtigkeit beschuldigte. Das schmeichelte ihm und versöhnte ihn mit der Rolle des Handlangers. Im Gespräch mit ebendiesen sozialistischen Schlaubergern warf Miljukow den Satz hin: "Der Spießer ist dumm." Das war eine

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