Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
wichtiges Element des objektiven Kräfteverhältnisses. Unmittelbar hatten eine Niederlage die Arbeiter und Soldaten Petrograds erlitten, die bei ihrem Vordringen einerseits auf das Unklare und Widerspruchsvolle ihres eigenen Zieles, andererseits auf die Rückständigkeit der Provinz und der Front gestoßen waren. In der Hauptstadt zeigten sich deshalb die Folgen der Niederlage zuallererst und am schärfsten. Ganz falsch jedoch sind die in der gleichen offiziellen Literatur so häufigen Behauptungen, als sei für die Provinz die Juliniederlage fast unbemerkt geblieben. Das ist theoretisch unwahrscheinlich und wird durch das Zeugnis der Tatsachen und Dokumente widerlegt. War die Rede von großen Frage, wandte jedesmal das ganze Land unwillkürlich den Kopf in die Richtung Petrograds. Die Niederlage der Arbeiter und Soldaten in der Hauptstadt mußte gerade auf die fortgeschrittensten Schichten der Provinz ungeheuren Eindruck machen. Schrecken, Enttäuschung, Apathie durchströmten verschiedene Teile des Landes auf verschiedene Art, waren aber allerorts zu beobachten.
Der Abstieg der Revolution kündigte sich zuallererst im starken Nachlassen des Widerstandes der Massen gegen die Feinde an. Während die nach Petrograd gebrachten Truppen offizielle Entwaffnungsexekutionen gegen Soldaten und Arbeiter vornahmen, verübten unter ihrer Deckung halbfreiwillige Banden straflos Überfälle auf Arbeiterorganisationen. Nach der Zertrümmerung der Redaktion der Prawda und der Druckerei der Bolschewiki wurde das Gewerkschaftshaus der Metallarbeiter verwüstet. Die nächsten Schläge richten sich gegen die Bezirkssowjets. Auch die Versöhnler bleiben nicht verschont: am 10. ist eine Institution jener Partei einem Überfall ausgesetzt, an deren Spitze Innenminister Zeretelli steht. Dan hatte keine geringe Selbstentäußerung nötig, um anläßlich der eingetroffenen Truppen zu schreiben: "Statt des Unterganges der Revolution sind wir jetzt Zeugen ihres neuen Triumphes." Der Triumph ging so weit, daß nach den Worten des Menschewiken Pruschitzki, Straßenpassanten, sahen sie Arbeitern ähnlich und wurden sie des Bolschewismus verdächtigt, Gefahr drohte, grausam mißhandelt zu werden. Welch unfehlbares Symptom einer schroffen Wandlung der Gesamtsituation!
Das Mitglied des Petrograder bolschewistischen Komitees, Lazis, in der Folge bekannter Mitarbeiter der "Tscheka", vermerkte in seinem Tagebuch: "9. Juli. In der Stadt sind alle unsere Druckereien zerstört. Niemand wagt, unsere Zeitungen und Flugblätter zu drucken. Wir nehmen Zuflucht zur Installierung einer illegalen Druckerei. Der Wyborger Bezirk ist ein Asyl für alle geworden. Hierher sind das Petrograder Komitee und die verfolgten Mitglieder des Zentralkomitees übergesiedelt. Im Wächterhäuschen der Renoschen Fabrik finden Beratungen des Komitees mit Lenin statt. Es geht um die Frage des Generalstreiks. Bei uns im Komitee sind die Stimmen geteilt. Ich war für den Aufruf zum
Streik. Lenin, nachdem er die Lage beleuchtet hatte, schlug vor, darauf zu verzichten ... 12. Juli. Die Konterrevolution siegt. Die Sowjets sind machtlos. Die losgelassenen Junker gehen bereits auch gegen die Menschewiki vor. In einem Teil der Partei herrscht Unsicherheit. Der Zustrom von Mitgliedern hat aufgehört Doch eine Flucht aus unseren Reihen gibt es noch nicht." Nach den Julitagen "herrschte in den Petrograder Betrieben starker sozialrevolutionärer Einfluß", schreibt der Arbeiter Sissko. Die Isolierung der Bolschewiki steigerte automatisch Gewicht und Selbstbewußtsein der Versöhnler. Am 16. Juli berichtet in der bolschewistischen Stadtkonferenz der Delegierte des Wassilijostrower Bezirkes, die Stimmung dort sei mit Ausnahme einiger Betriebe "im allgemeinen" gut. "Im Baltischen Werk schlagen uns die Sozialrevolutionäre und Menschewiki." Hier war es sehr weit gekommen: das Betriebskomitee verfügte, daß die Bolschewiki an der Beerdigung der getöteten Kosaken teilzunehmen hätten, was sie auch taten ... Der offizielle Mitgliederabgang der Partei ist allerdings nicht groß: im ganzen Bezirk traten von den viertausend Mitgliedern etwa hundert offen aus. Bedeutend größer war die Zahl derer, die in den ersten Tagen schweigend beiseitetraten. "Die Julitage", erinnerte sich später der Arbeiter Minitschew, "bewiesen, daß in unseren Reihen Menschen waren, die aus Angst um ihre Haut die Parteimitgliedskarte "verschluckten" und der Partei abschworen. Doch solcher gab es nicht viele ..." fügt er
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