Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
friedliche Beziehungen unterhielten und noch Ende Juni sich angeschickt hatten, bei den Wahlen zur Stadtduma gemeinsame Listen aufzustellen, waren die Soldaten nach dem Julisturm derart gegen die Bolschewiki aufgehetzt, daß sie in Wahlversammlungen eindrangen, die bolschewistischen Flugblätter den Händen entrissen und die Agitatoren verprügelten. "Es wurde uns schwer", schreibt Lebedjew, "in Wahlversammlungen aufzutreten. Häufig schrie man uns entgegen: deutsche Spione, Provokateure!" In den Reihen der Saratower Bolschewiki fanden sich nicht wenig Kleinmütige: "Viele erklärten ihren Austritt, andere versteckten sich."
In Kiew, das von jeher den Ruhm eines Schwarzhundertzentrums genoß, nahm die Hetze gegen die Bolschewiki einen besonders zügellosen Charakter an und griff bald auch auf die Menschewiki und Sozialrevolutionäre über. Der Niedergang der revolutionären Bewegung war hier besonders stark zu verspüren: bei den Wahlen zur Stadtduma erhielten die Bolschewiki insgesamt nur sechs Prozent der Stimmen. In der Stadtkonferenz klagten die Berichterstatter, daß "überall sich Apathie und Untätigkeit bemerkbar machen". Das Parteiblatt war gezwungen, vom täglichen zum wöchentlichen Erscheinen überzugehen.
Auflösungen und Versetzungen revolutionärer Regimenter mußten an sich nicht nur das politische Niveau der Garnisonen hinabdrücken, sondern auch entmutigend auf die Arbeiter im Orte wirken, die sich sicherer fühlten, wenn hinter ihnen befreundete Truppenteile standen. So veränderte die Entfernung des 57. Regimentes aus Twer schroff die politische Situation, sowohl bei den Soldaten wie bei den Arbeitern: sogar in den Gewerkschaften wurde der Einfluß der Bolschewiki gering. In noch stärkerem Maße zeigte sich dies in Tiflis, wo die Menschewiki Hand in Hand mit dem Stab die bolschewistischen Truppenteile durch vollkommen farblose Regimenter ersetzten.
An einigen Punkten nahm die politische Reaktion, je nach Zusammensetzung der Garnison, Niveau der Arbeiter und anderen zufälligen Gründen, einen paradoxen Ausdruck an. In Jaroslawl zum Beispiel wurden im Juli die Bolschewiki aus dem Arbeitersowjet fast restlos verdrängt, während sie in den Sowjets der Soldatendeputierten dominierenden Einfluß behielten. An einzelnen Stellen hinterließen die Juliereignisse tatsächlich fast keine Spuren und hielten das Anwachsen der Partei nicht auf. Soweit man beurteilen kann, war dies in den Fällen zu verzeichnen, wo der allgemeine Rückzug zusammentraf mit dem Eintreten neuer rückständiger Schichten in die revolutionäre Arena. So konnte man in einigen Textilbezirken im Juli einen bedeutenden Zustrom von Arbeiterinnen zu den Organisationen beobachten. Doch das Gesamtbild des Rückflutens wird davon nicht berührt.
Die nicht wegzuleugnende sogar übertriebene Schärfe des Reagierens auf die Teilniederlage war eine Art Tribut der Arbeiter und besonders der Soldaten für ihren allzu leichten, allzu schnellen, allzu unaufhaltsamen Zustrom zu den Bol-schewiki in den vorangegangenen Monaten. Die schroffe Wendung der Massenstimmungen vollzog eine automatische und dabei unfehlbare Auslese in den Parteikadern. Auf jene, die in diesen Tagen nicht schwankend geworden waren, konnte man sich auch fernerhin verlassen. Sie bildeten den Kern in Werkstätten, Betrieben, Bezirken. Am Vorabend des Oktobers blickten die Organisatoren bei Ernennungen und Aufträgen mehr als einmal um sich, daran zurückdenkend, wie sich ein jeder in den Julitagen gehalten hatte.
An der Front, wo alle Beziehungen unverhüllter sind, nahm die Julireaktion besonders erbitterten Charakter an. Das Hauptquartier benutzte die Ereignisse vor allein zur Schaffung besonderer Truppenteile der "Pflicht vor der freien Heimat". Bei den Regimentern wurden eigene Stoßkommandos organisiert. "Ich habe die Stoßtruppler wiederholt gesehen", erzählt Denikin "sie waren stets nachdenklich düster. In den Regimentern stand man zu ihnen zurückhaltend oder sogar feindselig." Nicht ohne Grund sahen die Soldaten in den "Truppenteilen der Pflicht" Zellen einer Prätorianergarde. "Die Reaktion zögerte nicht", berichtet über die rückständige rumänische Front der Sozialrevolutionär Degtjarjew, der sich später den Bolschewiki anschloß. "Viele Soldaten wurden als Deserteure verhaftet. Die Offiziere erhoben den Kopf und begannen die Armeekomitees zu mißachten, hie und da versuchten die Offiziere sogar zur Ehrenbezeigung zurückzukehren." Die Kommissare betrieben
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