Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
der Menschewiki und Sozialrevolutionäre heute selbst Intrigen und Sabotage ihrer bürgerlichen Verbündeten. Außerdem hat sich die Arbeitersektion für die Macht der Sowjets ausgesprochen. Worauf noch warten? Doch die leidenschaftlichen Appelle, in denen die Empörung noch Hoffnung atmet, fallen kraftlos und unangebracht in die abgestandene Atmosphäre des Versöhnlerparlaments. Die Führer beschäftigt nur ein Gedanke: wie die ungebetenen Gäste am schnellsten loswerden? Man bittet sie, sich auf die Galerie zu entfernen: sie auf die Straße zu jagen, zu den Demonstranten, wäre zu unvorsichtig. Von der Galerie herab hörten die Maschinengewehrschützen verwundert die sich entwickelnden Debatten an, deren einziges Ziel war, Zeit zu gewinnen: die Versöhnler warteten auf zuverlässige Regimenter. "In den Straßen ist revolutionäres Volk", sprach Dan, "aber dieses Volk verrichtet eine konterrevolutionäre Sache ..." Dan wird unterstützt von Abramowitsch, einem der Führer des jüdischen Bundes, einem konservativen Pedanten, dessen sämtliche Instinkte durch die Revolution verletzt sind. "Wir sind Zeugen einer Verschwörung", behauptet er entgegen allem Augenschein und fordert die Bolschewiki auf, offen zuzugeben, daß "es ihre Arbeit ist". Zeretelli vertieft das Problem: "Auf die Straße zu gehen mit der Forderung: Alle Macht den Sowjets, - ist das eine Unterstützung der Sowjets? Wenn die Sowjets wollten, sie könnten die Macht haben. Hindernisse stehen dem Willen der Sowjets von keiner Seite entgegen. Solche Aktionen aber gehen nicht den Weg der Revolution, sondern den Weg der Konterrevolution." Diese Überlegungen konnten die Arbeiterdelegierten unmöglich begreifen. Es schien ihnen, die hohen Führer seien völlig übergeschnappt. Schließlich bestätigt die Versammlung noch einmal mit allen gegen elf Stimmen, daß das bewaffnete Auftreten ein Dolchstoß in den Rücken der revolutionären Armee sei, und so weiter. Die Sitzung wird um 5 Uhr morgens geschlossen.
Die Massen versickerten allmählich in ihre Bezirke. Bewaffnete Automobile waren die ganze Nacht unterwegs, Regimenter, Fabriken, Bezirkszentren miteinander verbindend. Wie Ende Februar, zogen auch jetzt die Massen nachts das Fazit des verflossenen Kampftages. Aber nun taten sie es mit Hilfe eines komplizierten Systems von Organisationen: der Betriebe, der Partei, der Truppen, die dauernd miteinander berieten. Es galt in den Bezirken als selbstverständlich, daß die Bewegung nicht beim halben Worte haltmachen durfte. Das Exekutivkomitee hatte den Beschluß über die Machtfrage vertagt. Die Massen deuteten es als Schwankung. Die Schlußfolgerung war klar: man muß weiter nachdrük-ken. Die Nachtsitzung der Bolschewiki und Interrayonisten, die im Taurischen Palais parallel mit der Sitzung der Exekutivkomitees stattfand, zog ebenfalls das Fazit des vergangenen Tages und versuchte vorauszusehen, was der morgige Tag in sich berge. Die Berichte aus den Bezirken besagten, daß die heutige Demonstration die Massen erst in Bewegung gebracht und zum erstenmal die Machtfrage in aller Schärfe vor ihnen gestellt habe. Morgen werden die Fabriken und Regimenter auf Antwort drängen, und nichts wild sie in den Außenbezirken festhalten. Die Diskussionen drehten sich nicht um die Frage, ob man zur Machtergreifung aufrufen solle oder nicht, wie später die Gegner behaupteten, sondern darum, ob man versuchen müsse, die Demonstration zu liquidieren, oder aber sich am nächsten Morgen an ihre Spitze stellen soll.
Spät in der Nacht, kurz vor 3 Uhr, marschierte das Putilowwerk, eine dreißigtausendköpfige Masse, viele mit Frauen und Kindern, ans Taurische Palais heran. Der Zug hatte sich um 11 Uhr in Bewegung gesetzt, unterwegs hatten sich ihm andere, saumseligere Betriebe angeschlossen. Am Narwaer Tor war trotz der späten Nachtstunde die Volksansammlung so groß, als sei niemand im Bezirk zurückgeblieben. Die Frauen hatten geschrien: "Alle müssen gehen ... Wir werden die Wohnungen bewachen ..." Nach dem Läuten vom Glockenturm der Erlöserkirche fielen Schüsse, wie aus einem Maschinengewehr. Von unten gab man eine Salve gegen den Glockenturm "Beim Gostinyj Dwor ("Handelshof") überfiel eine Gesellschaft von Junkern und Studenten die Demonstranten, und versuchte ihnen ein Plakat zu entreißen. Die Arbeiter leisteten Widerstand, es kam zu einem Handgemenge, jemand schoß, dem Schreiber dieser Zeilen wurde der Kopf eingeschlagen, Hüften und Brust mit Füßen
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