Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
hatte, hatte unermeßlich stärker die Sowjets im Staate geschwächt. Die "Rettungsregierung" bedeutete das Wiederaufleben der Unabhängigkeit der Bürokratie. Der Verzicht der Sowjets auf die Macht bedeutete Erniedrigung vor den Kommissaren, Siechtum, Hinwelken.
Das Sinken der Bedeutung des Zentral-Exekutivkomitees fand einen krassen äußeren Ausdruck: die Regierung stellte an die Versöhnler das Ansinnen, das Taurische-Palais zu räumen, da es für die Ansprüche der Konstituierenden Versammlung reparaturbedürftig sei. Den Sowjets wurde in der zweiten Julihälfte das Gebäude des Smolny-Instituts angewiesen, wo bis dahin die Töchter des vornehmen Adels erzogen worden waren. Die bürgerliche Presse schrieb nun von der Übergabe des Hauses der "weißen Täubchen" an die Sowjets beinahe im gleichen Tone wie früher über die Besetzung des Kschessinskaja-Palais durch die Bolschewiki. Verschiedene revolutionäre Organisationen, darunter auch Gewerkschaften, die requirierte Gebäude innehatten, wurden auf dem Gebiet der Wohnungsfrage einer einheitlichen Attacke ausgesetzt. Es ging um nichts anderes, als um das Hinausdrängen der Arbeiterrevolution aus den von ihr auf Kosten der bürgerlichen Gesellschaft angeeigneten übermäßig großen Wohnräumen. Die Kadettenpresse kannte keine Grenze der allerdings verspäteten Empörung über das vandalenhafte Eindringen des Volkes in die Rechte des Privat-und Staatseigentums. Ende Juli jedoch wurde durch die graphischen Arbeiter eine überraschende Tatsache aufgedeckt: die um das berüchtigte Komitee der Reichsduma gruppierten Parteien haben, wie sich herausstellt, schon längst für ihre Bedürfnisse sich die außerordentlich reiche Staatsdruckerei, deren Expedition und deren Recht auf Literaturversand angeeignet. Agitationsbroschüren der Kadettenpartei werden nicht nur unentgeltlich gedruckt, sondern auch tonnenweise, und zwar außerhalb der Reihe, im ganzen Lande portofrei versandt. Das Exekutivkomitee, vor die Notwendigkeit gestellt, die Beschuldigung nachzuprüfen, mußte sie bestätigen. Die Kadettenpartei fand allerdings einen neuen Anlaß zur Entrüstung: könne man denn tatsächlich auch nur für eine Minute Besetzungen von Staatsgebäuden zu zerstörerischen Zwecken auf eine Stufe stellen mit der Ausnutzung staatlichen Eigentums zum Zwecke des Schutzes höherer Werte? Mit einem Wort, wenn auch diese Herren den Staat ein wenig bestahlen, so doch in dessen eigenem Interesse. Aber dieses Argument schien nicht allen überzeugend. Die Bauarbeiter meinten, sie besäßen mehr Rechte auf einen Raum für ihre Gewerkschaft als die Kadetten auf die Staatsdruckerei. Die Meinungsverschiedenheit war keine zufällige: sie eben führte zur zweiten Revolution. Die Kadetten waren jedenfalls gezwungen, sich ein wenig auf die Zunge zu beißen.
Einer der Instruktoren des Exekutivkomitees, der in der zweiten Augusthälfte die Sowjets Südrußlands bereiste, wo die Bolschewiki bedeutend schwächer waren als im Norden, berichtete über seine wenig tröstlichen Beobachtungen: "Die politische Stimmung verändert sich merklich ... Bei den Spitzen der Massen nimmt die revolutionäre Stimmung zu, hervorgerufen durch den Ruck in der Politik der Provisorischen Regierung ... In den Massen selbst spürt man Müdigkeit und Gleichgültigkeit für die Revolution. Es läßt sich eine starke Abkühlung gegen die Sowjets beobachten ... Die Funktionen der Sowjets werden allmählich abgebaut ... " Daß die Massen des Hin und Her der demokratischen Vermittler müde geworden waren, ließ sich nicht bestreiten. Abgekühlt jedoch waren sie nicht gegen die Revolution, sondern gegen die Sozialrevolutionäre und Menschewiki. Die Lage wurde besonders dort unerträglich, wo die Macht, allen Programmen zuwider, in den Händen der Versöhnlersowjets konzentriert war: durch die endgültige Kapitulation des Exekutivkomitees vor der Bürokratie gebunden, wagten sie nicht, ihre Macht zu gebrauchen, und kompromittierten so die Sowjets bei den Massen. Ein beträchtlicher Teil der laufenden Alltagsarbeit ging überdies von den Sowjets an die demokratischen Munizipalitäten über. Ein noch größerer Teil an die Gewerkschaften und Fabrikkomitees. Immer unklarer gestaltete es sich: werden die Sowjets leben bleiben? und was harrt ihrer morgen?
In den ersten Monaten ihres Daseins hatten die Sowjets, die alle anderen Organisationen weit überflügelten, den Aufbau der Gewerkschaften, Fabrikkomitees und Klubs wie die Leitung
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