Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Menschewismus beschuldigten in gemeinsamen Sitzungen einander wütend der Parteizerstörung. Gorkis Zeitung, die dem linken Flügel der Menschewiki nahestand, berichtete Ende September, die Petrogra-der Parteiorganisation, die noch kurz zuvor annähernd zehntausend Mitglieder zählte, habe "faktisch aufgehört zu existieren ... Die letzte Stadtkonferenz konnte wegen fehlender Präsenzstärke nicht zusammentreten".
Plechanow griff die Menschewiki von rechts an: "Zeretelli und seine Freunde bahnten, ohne es zu wollen und ohne sich dessen bewußt zu sein, den Weg für Lenin." Die politische Verfassung Zeretellis in den Tagen der Septemberflut ist grell festgehalten in den Erinnerungen des Kadetten Nabokow: "Der charakteristischste Zug seiner damaligen Stimmung war Angst vor der wachsenden Macht des Bolschewismus. Ich erinnere mich, wie er in einer Unterhaltung mit mir unter vier Augen von der Möglichkeit der Machtergreifung durch die Bolschewiki sprach. "Gewiß", sagte er, "sie werden nicht mehr als zwei, drei Wochen bleiben, aber bedenken Sie nur, welche Verwüstungen es geben wird ... Das muß um jeden Preis vermieden werden." In seiner Stimme klang unverfälschte panische Furcht." Vor dem Oktober machte Zeretelli die gleichen Stimmungen durch, die Nabokow bereits in den Februartagen gut gekannt hatte.
Die Arena, wo die Bolschewiki Seite an Seite mit den Sozialrevolutionären und Menschewiki wirkten, wenn auch in ständigem Kampfe gegen sie, waren die Sowjets. Veränderungen im Kräfteverhältnis der Sowjetparteien fanden, wenn allerdings auch nicht sogleich, sondern mit unvermeidlichem Nachhinken und künstlichen Verzögerungen, ihren Ausdruck in der Zusammensetzung der Sowjets und in deren öffentlicher Funktion.
Viele Provinzsowjets, so in Iwanowo-Wosnessensk, Lugansk, Zarizyn, Cherson, Tomsk, Wladiwostok, stellten bereits vor den Julitagen Machtorgane dar, wenn nicht formell, so doch faktisch, wenn nicht dauernd, so doch episodisch. Der Krasnojarsker Sowjet führte eigenmächtig das Kartensystem für Gegenstände des persönlichen Bedarfs ein. Der Versöhnler-Sowjet in Saratow war gezwungen, sich in ökonomische Konflikte einzumischen, zu Verhaftungen von Unternehmern zu schreiten, den Belgiern die Trambahn wegzunehmen, Arbeiterkontrollen einzuführen und in stillgelegten Betrieben die Produktion zu organisieren. Im Ural, wo seit 1905 der Bolschewismus dominierenden politischen Einfluß genoß, übten die Sowjets häufig über Bürger sogar Justiz und Strafgericht aus, schufen in etlichen Betrieben eigene Miliz, bezahlten sie aus der Fabrikskasse, organisierten Arbeiterkontrolle, die den Betrieb mit Rohstoff und Heizmaterial versorgte, überwachten den Absatz der Fabrikate und bestimmten Tarifsätze. In einigen Bezirken des Urals nahmen die Sowjets für öffentliche Anbauzwecke den Gutsbesitzern Boden weg. In den Simsker Bergwerken organisierten die Sowjets eine Kreisbetriebsverwaltung, der die gesamte Administration, Kasse, Buchhalterei und Annahme von Aufträgen, unterstellt wurde. Mit diesem Akt wurde im groben die Nationalisierung des Simsker Bergwerkbezirks durchgeführt. "Schon im Monat Juli", schreibt B. Elzin, dem wir diese Angaben entnehmen, "war in den Uraler Werken nicht nur alles in den Händen der Bolschewiki, sondern die Bolschewiki erteilten bereits Anschauungsunterricht für die Lösung politischer, agrarischer und wirtschaftlicher Fragen." Diese Lehren waren primitiv, nicht systematisiert, nicht von einer Theorie erhellt, doch in vielem bestimmten sie die späteren Wege voraus.
Der Juliumschwung traf viel unmittelbarer die Sowjets als die Partei oder die Gewerkschaften, denn der Kampf jener Tage ging vor allem um Leben und Tod der Sowjets. Partei und Gewerkschaften behalten ihre Bedeutung in "friedlichen" Perioden wie in Zeiten schwerer Reaktion; es verändern sich Aufgaben und Methoden, nicht aber die grundlegenden Funktionen. Die Sowjets dagegen können nur auf der Basis einer revolutionären Situation bestehen und verschwinden zusammen mit ihr. Die Mehrheit der Arbeiterklasse vereinigend, stellen sie diese unmittelbar vor eine Aufgabe, die sich über alle lokalen, Gruppen- und Fachbedürfnisse; über Flick-, Korrektur- und Reformprogramme überhaupt erhebt, das heißt vor die Aufgabe der Machteroberung. Die Losung "Alle Macht den Sowjets" schien jedoch zusammen mit der Julidemonstration der Arbeiter und Soldaten zerschlagen. Die Niederlage, die die Bolschewiki in den Sowjets geschwächt
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