Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Sowjetkongreß abzuwarten, wenn auch gedeckt durch dessen Autorität. Politisch die Vorbereitung des Aufstandes von der Vorbereitung des Sowjetkongresses zu trennen wäre deshalb falsch gewesen.
Am besten kann man die Besonderheiten der Oktoberumwälzung begreifen, wenn man diese der vom Februar gegenüberstellt. Bei Anwendung dieses Vergleiches ist es nicht notwendig, wie in anderen Fällen, die Identität einer ganzen Reihe von Umständen vorauszusetzen; sie sind tatsächlich identisch, da es in beiden Fällen um Petrograd geht: gleiche Kampfarena, gleiche soziale Gruppierungen, gleiches Proletariat und gleiche Garnison. Der Sieg wird in beiden Fällen erreicht durch Übergang der Mehrzahl der Reserveregimenter auf die Seite der Arbeiter. Doch im Rahmen dieser g3-meinsamen Grundzüge - welch gewaltiger Unterschied! Historisch einander im Laufe von acht Monaten ergänzend, sind die zwei Petrograder Umwälzungen durch den Kontrast ihrer Züge gleichsam im voraus dazu ausersehen, zum besseren Verständnis der Natur eines Aufstandes überhaupt beizutragen.
Den Februaraufstand nennt man elementar. An anderer Stelle haben wir in diese Bezeichnung alle notwendigen Einschränkungen hineingebracht. Doch ist jedenfalls richtig, daß im Februar niemand die Wege der Umwälzung vorausgewiesen hat; niemand hat in Fabriken und Kasernen über die Frage der Revolution abgestimmt; niemand von oben zum Aufstande aufgerufen. Die in Jahren angesammelte Empörung explodierte, zum größten Teil unerwartet für die Masse selbst.
Ganz anders verhielt sich die Sache im Oktober. Während der acht Monate hatten die Massen ein gespanntes politisches Leben geführt. Sie schufen nicht nur die Ereignisse, sondern lernten auch deren Zusammenhänge begreifen; nach jeder Tat erwogen sie kritisch deren Ergebnisse. Der Sowjetparlamentarismus wurde die Alltagsmechanik des politischen Lebens des Volkes. Wenn durch Abstimmungen Fragen über Streiks, Straßenmanifestationen, Versetzung eines Regiments an die Front entschieden wurden, konnten da die Massen auf den selbständigen Beschluß in der Frage des Aufstandes etwa verzichten?
Aus dieser unschätzbaren und im wesentlichen einzigen Errungenschaft der Februarrevolution erwuchsen jedoch neue Schwierigkeiten. Man konnte nicht die Masse im Namen des Sowjets zum Kampf aufrufen, ohne die Frage formell vor dem Sowjet zu stellen, das heißt, ohne die Aufgabe des Aufstandes zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen zu machen, und überdies unter Beteiligung von Vertretern des kindlichen Lagers. Die Notwendigkeit, zur Leitung des Aufstandes ein besonderes, möglichst verschleiertes Sowjetorgan zu schaffen, war offensichtlich. Doch auch dies erforderte demokratische Wege mit all ihren Vorzügen und all ihren Verzögerungen. Der Beschluß des Militärischen Revolutionskomitees vom 9. Oktober erhält seine endgültige Verwirklichung erst am 20. Die Hauptschwierigkeit liegt jedoch nicht hier. Die Mehrheit des Sowjets ausnutzen und ein Komitee nur aus Bolschewiki schaffen, hätte bedeutet, die Unzufriedenheit der Parteilosen hervorzurufen, schon gar nicht zu sprechen von den linken Sozialrevolutionären und einigen Gruppen der Anarchisten. Die Bolschewiki innerhalb des Militärischen Revolutionskomitees unterwarfen sich dem Beschluß ihrer Partei, wenn auch nicht alle widerspruchslos. Aber es war unmöglich, Disziplin von Parteilosen und linken Sozialrevolutionären zu fordern. Von ihnen a priori einen Beschluß über den Aufstand für einen bestimmten Tag zu erlangen, war undenkbar; allein schon die Frage vor ihnen zu stellen, wäre äußerst unvorsichtig gewesen. Vermittels des Militärischen Revolutionskomitees konnte man die Massen in den Aufstand nur hineinziehen, indem man die Situation täglich schärfer zuspitzte und den Konflikt unausweichbar gestaltete.
War es da nicht einfacher gewesen, zum Aufstande unmittelbar im Namen der Partei aufzurufen? Ernsthafte Vorzüge eines solchen Vorgehens hegen auf der Hand. Doch vielleicht unverkennbarer sind auch die Nachteile. Unter den Millionen, auf die die Partei sich berechtigterweise stützen zu können glaubte, hat man drei Schichten zu unterscheiden: die eine, die bereits bedingungslos mit den Bolschewiki ging; die andere, zahlreichste, die die Bolschewiki unterstützte, insofern diese durch die Sowjets handelten; die dritte, die mit den Sowjets ging, obwohl die Bolschewiki in ihnen vorherrschten.
Diese drei Schichten unterschieden sich nicht nur nach ihrem
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