Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
bolschewistischen Präsidiumskandidaten: Lenin, Trotzki, Sinowjew, Kamenjew, Rykow, Nogin, Skljanski, Krylenko, Antonow-Owssejenko, Rjasanow, Muranow, Lunatscharski, Kollontay und Stutschka. "Das Präsidium wird gebildet", schreibt Suchanow, "aus den wichtigsten bolschewistischen Führern und sechs [in Wirklichkeit sieben] linken Sozialrevolutionären." Als autoritäre Parteinamen werden Sinowjew und Kamenjew in das Präsidium aufgenommen, trotz ihrem Kampf gegen den Aufstand; Rykow und Nogin als Vertreter des Moskauer Sowjets; Lunat-scharski und Kollontay als in jener Periode populäre Agitatoren; Rjasanow als Vertreter der Gewerkschaften; Muranow als alter Arbeiterbolschewik, der sich während der Gerichtsverhandlung gegen die Dumadeputierten mutig gehalten hatte; Stutschka als Führer der lettischen Organisation; Krylenko und Skljanski als Vertreter der Armee; Antonow-Owssejenko als Leiter der Petrograder Kämpfe. Das Fehlen von Swerdlows Namen läßt sich damit erklären, daß er selbst die Liste zusammengestellt und im Trubel sie keiner korrigiert hatte. Für die damaligen Parteigebräuche ist es charakteristisch, daß ins Präsidium der gesamte Stab der Gegner des Aufstandes kam: Sinowjew, Kamenjew, Nogin, Rykow, Lunatscharski, Rjasanow. Von den linken Sozialrevolutionären genoß damals in ganz Rußland Berühmtheit nur die kleine, gebrechliche und mutige Spiridonowa, die viele Jahre Katorga hinter sich hatte wegen Tötung des Henkers der Tambower Bauern. Andere "Namen" besaßen die linken Sozialrevolutionäre nicht. Dafür aber war den Rechten außer Namen schon fast nichts mehr übriggeblieben.
Der Kongreß begrüßt leidenschaftlich sein Präsidium. Lenin ist nicht auf der Tribüne. Während die Fraktionen sich versammelten und berieten, saß Lenin, noch nicht abgeschminkt, in Perücke und großer Brille, in Gesellschaft von zwei
- drei Bolschewiki in einem Durchgangszimmer. Unterwegs zu ihrer Fraktion blieben Dan und Skobeljew vor dem Tische der Verschwörer stehen, blickten diese prüfend an und erkannten sichtlich Lenin. Das bedeutete: es ist Zeit, die Maske abzulegen!
Lenin beeilte sich aber nicht, öffentlich aufzutreten. Er wollte vorläufig noch beobachten, die Fäden fester in seinen Händen anziehen und einstweilen hinter den Kulissen bleiben. In seinen im Jahre 1924 veröffentlichten Erinnerungen schreibt Trotzki:
"Im Smolny ging die erste Sitzung des zweiten Sowjetkongresses. Lenin erschien da nicht. Er blieb in einem Zimmer des Smolny, in dem, wie ich mich entsinne, aus irgendeinem Grunde kein oder fast kein Möbelstück stand. Erst später breitete jemand Decken auf dem Fußboden aus und legte zwei Kissen darauf Zusammen mit Wladimir Iljitsch ruhten wir aus, nebeneinander liegend. Aber schon nach wenigen Minuten rief man mich: "Dan [1] spricht, man muß antworten." Nach meiner Replik zurückgekehrt, legte ich mich wieder neben Wladimir Iljitsch, der selbstverständlich nicht daran gedacht harte, einzuschlafen. Wie hätte das auch sein können! Alle fünf bis zehn Minuten kam jemand aus dem Sitzungssaal gelaufen, um mitzuteilen, was dort vorgeht."
Die Glocke des Vorsitzenden kommt in Kamenjews Hände, eines jener Phlegmatiker, die von der Natur selbst bestimmt sind zum Vorsitzführen. Auf der Tagesordnung, verkündet er, stehen drei Fragen: Organisierung der Macht; Krieg und Frieden; Einberufung der Konstituierenden Versammlung. Ein seltsames, dumpfes, beunruhigendes Krachen durchschneidet von außen her den Versammlungslärm: die Peter-Paul-Festung bekräftigte die Tagesordnung durch einen Artillerieschuß. Eine Welle der Hochspannung durchläuft den Kongreß, der sich sogleich als das zu fühlen beginnt, was er in Wirklichkeit ist: der Konvent des Bürgerkrieges.
Losowski, Gegner des Aufstandes, fordert den Bericht vom Petrograder Sowjet. Doch das Militärische Revolutionskomitee hat sich verspätet: die Artillerierepliken beweisen, daß der Bericht noch nicht fertig ist. Der Aufstand ist in vollem Gange. Die Führer der Bolschewiki verschwinden fortwährend in dem Raume des Militärischen Revolutionskomitees, um Informationen entgegenzunehmen oder Verfügungen zu treffen. Das Echo der Kämpfe dringt in den Sitzungssaal wie Flammenzungen. Bei Abstimmungen heben sich Arme hoch zwischen Bajonettspitzen. Der graublaue, beißende Rauch des Machorkatabaks verhüllt die herrlichen weißen Säulen und Lüster.
Die Wortscharmützel der zwei Lager erhalten auf dem Hintergrunde der Kanonade
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