Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
er klammert sich an die Idee eines Kompromisses, mit der seine gesamte Politik steht und fällt. "Man muß das Blutvergießen einstellen" ..., beginnt er wieder. - "Das sind nur Gerüchte!" ruft man von den Plätzen. - "Hierher dringen nicht nur Gerüchte", antwortet er, "wenn ihr zu den Fenstern geht, werdet ihr auch Kanonenschüsse hören." Das läßt sich nicht bestreiten: schweigt der Kongreß, dann hört man die Schüsse nicht nur an den Fenstern.
Die von Martow verlesene Erklärung, den Bolschewiki durch und durch feindselig und in den Schlußfolgerungen leblos, verurteilt den Umsturz als "allein nur von der bolschewistischen Partei vollzogen mit den Mitteln der reinen militärischen Verschwörung" und verlangt, die Arbeit des Kongresses einzustellen bis zur Verständigung mit "allen sozialistischen Parteien". In der Revolution der Resultante nachzujagen, ist schlimmer, als seinen eigenen Schatten fangen zu wollen!
In diesem Moment erscheint in der Sitzung, mit Joffe, dem künftigen ersten Sowjetgesandten in Berlin, an der Spitze, die bolschewistische Fraktion der Stadtduma, die darauf verzichtet hat, den problematischen Tod vor den Mauern des Winterpalais zu suchen. Der Kongreß verdichtet sich erneut und empfängt seine Freunde mit freudigen Begrüßungen. Doch man muß Martow eine Zurückweisung erteilen. Diese Aufgabe fällt Trotzki zu. "Jetzt, nach dem Auszug der Rechten, ist seine Position", gesteht Suchanow, "ebenso stark, wie Martows Position schwach ist." Die Gegner stehen nebeneinander auf der Tribüne, von allen Seiten durch einen dichten Ring erregter Delegierten eingezwängt. "Das, was geschehen ist", sagt Trotzki, "ist ein Aufstand und keine Verschwörung. Der Aufstand der Volksmassen bedarf nicht der Rechtfertigung. Wir haben die revolutionäre Energie der Petrograder Arbeiter und Soldaten gestählt. Wir haben offen den Willen der Massen für den Aufstand und nicht für die Verschwörung geschmiedet ... Unser Aufstand hat gesiegt. Und jetzt schlägt man uns vor: verzichtet auf euren Sieg, geht eine Verständigung ein. Mit wem? Ich frage: mit wem sollen wir die Verständigung eingehen? Mit jenen kläglichen Häuflein, die davongelaufen sind? ... Aber wir haben sie in all ihrer Größe gesehen. Hinter ihnen steht niemand in Rußland. Mit ihnen sollen sich verständigen, als Gleiche mit Gleichen, Millionen auf diesem Kongreß vertretene Arbeiter und Bauern, die jene gegen eine Gunst der Bourgeoisie nicht zum ersten - und nicht zum letztenmal auszutauschen bereit sind. Nein, hier ist eine Verständigung nicht am Platz! Jenen, die von hier weggegangen sind, wie jenen, die mit solchen Vorschlägen kommen, müssen wir sagen: ihr seid armselige Einzelgänger, ihr seid Bankrotteure, eure Rolle ist ausgespielt, schert euch hin, wohin ihr von nun an gehört: auf den Kehrichthaufen der Geschichte!" ...
"Dann gehen wir!" schreit Martow, ohne eine Abstimmung des Kongresses abzuwarten. "Martow bahnte sich im Zorn und Affekt", bedauert Suchanow, "den Weg zum Rampenausgang. Während ich daranging, unsere Fraktion zu einer außerordentlichen Beratung zusammenzurufen" ... Es hatte sich aber gar nicht um einen Affekt gehandelt. Ein Hamlet des demokratischen Sozialismus, machte Martow einen Schritt vorwärts, wenn die Revolution im Absteigen war, wie im Juli; jetzt, wo die Revolution daran war, einen Löwensprung zu tun, trat Martow den Rückzug an. Der Abmarsch der Rechten beraubte ihn der Möglichkeit des parlamentarischen Manövrierens. Ihm wurde sogleich ungemütlich. Er eilte, den Kongreß zu verlassen, um sich vom Aufstand loszureißen. Suchanow opponierte, so gut er konnte. Die Fraktion teilte sich in fast zwei gleiche Hälften: mit vierzehn gegen zwölf Stimmen siegte Martow.
Trotzki empfiehlt dem Kongreß eine Resolution - einen Anklageakt gegen die Versöhnler: sie haben den unheilvollen Angriff vom 18. Juni vorbereitet; sie haben die Regierung des Volksverrats gestützt; sie haben den Betrug an den Bauern in der Bodenfrage gedeckt; sie haben die Entwaffnung der Arbeiter durchgeführt; sie sind für die sinnlose Kriegs-
Verlängerung verantwortlich; sie haben der Bourgeoisie erlaubt, den Wirtschaftszerfall zu vertiefen; nachdem sie das Vertrauen der Massen verloren, haben sie sich der Einberufung des Sowjetkongresses widersetzt; schließlich haben sie, in die Minderheit geraten, mit den Sowjets gebrochen.
Wieder eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung: wahrhaftig, die Geduld des bolschewistischen
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