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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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über ihren Rahmen hinauszugehen, den Plan zu erweitern, alles und alle hineinzuziehen, ein Maximum dort zu leisten, wo ein Minimum genügt hätte. An dem Hyperbolischen des Planes läßt sich mühelos der Stempel seines Geistes entdecken. Antonow-Owssejenko, von Charakter impulsiver Optimist, war viel fähiger zu Improvisation als zu Berechnung. Als ehemaliger kleiner Offizier verfügte er über etliche militärische Kenntnisse. Während des großen Krieges Emigrant, leitete er in der Pariser Zeitung Nasche Slowo die Kriegsübersicht und bewies dabei häufig strategischen Spürsinn. Sein empfänglicher Dilettantismus konnte kein Gegengewicht schaffen zu Podwojskis Überschwenglichkeiten. Der dritte der Heerführer, Tschudnowski, hatte einige Monate an einer passiven Front als Agitator verbracht: ch-mit war seine militärische Erfahrung erschöpft. Zum rechten Flügel hinneigend, pflegte jedoch Tschudnowski sich als erster ins Gefecht zu stürzen und stets die Stellen zu suchen, wo es am heißesten herging. Persönlicher Mut und politische Kühnheit halten sich bekanntlich nicht immer die Waage. Einige Tage nach der Umwälzung wurde Tschudnowski in der Nähe von Petrograd bei einem Zusammenstoß mit Kerenskis Kosaken verwundet und wenige Monate später in der Ukraine getötet. Es ist klar, daß auch der redselige, impulsive Tschudnowski nicht das ersetzen konnte, was den beiden anderen Führern fehlte. Nicht einer von ihnen hatte Sinn für Details, schon deshalb, weil sie nicht in das Geheimnis des Handwerks eingeweiht waren. Im Gefühl ihrer Schwäche in Fragen der Erkundung, Verbindung, Manö-vrierung, verspürten die roten Marschälle das Bedürfnis, sich mit solcher Übermacht auf das Winterpalais zu wälzen, daß sich die Frage der praktischen Führung erledigte: das Kolossalische eines Planes kommt dem Fehlen eines solchen fast gleich. Das Gesagte bedeutet keinesfalls, daß man im Militärischen Revolutionskomitee oder in dessen Umgebung bewandertere militärische Leiter hätte finden können, jedenfalls nicht ergebenere und aufopferungsfähigere.
    Der Kampf um das Winterpalais begann mit der Umfassung des Bezirks in weiter Peripherie. Bei Unerfahrenheit der Kommandeure, lückenhafter Verbindung, Ungewandtheit der rotgardistischen Abteilungen, Schwerfälligkeit der regulären Truppenteile entwickelte sich die komplizierte Operation äußerst langsam. In den gleichen Stunden, während die roten Abteilungen den Ring allmählich abdichteten und Reserven hinter sich sammelten, drangen Junkerkompanien, Kosakenhundertschaften, Georgskavaliere und ein Frauenbataillon zum Winterpalais durch. Die Faust des Widerstandes formierte sich gleichzeitig mit dem Angriffsring. Man darf behaupten, daß die Aufgabe selbst aus jenem allzu großen Umweg erwachsen war, der zu ihrer Lösung angewandt wurde. Indes würde ein vermessener Überfall in der Nacht oder ein kühner Angriff bei Tage nicht mehr Opfer gekostet haben als die schleichende Operation. Den moralischen Effekt der Aurora-Artillerie hätte man jedenfalls um zwölf und sogar um vierundzwanzig Stunden früher ausprobieren können: der Kreuzer stand in voller Bereitschaft auf der Newa, und die Matrosen klagten nicht über Mangel an Geschützöl. Doch die Leiter der Operation hofften, die Frage ohne Kampf zu entscheiden, schickten Parlamentäre, stellten Ultimatums und hielten dann die Fristen nicht inne. Rechtzeitig die Artillerie der Peter-Paul-Festung nachzuprüfen, darauf war man gerade deshalb nicht gekommen, weil man damit rechnete, ihre Hilfe entbehren zu können.
    Die mangelhafte Vorbereitung der militärischen Leitung offenbarte sich noch krasser in Moskau, wo das Kräfteverhältnis als derart günstig galt, daß Lenin dringend empfahl, mit Moskau sogar zu beginnen: "Der Sieg ist sicher, und es ist niemand da, der kämpfen könnte." In Wirklichkeit nahm der Aufstand gerade in Moskau den Charakter sich hinziehender Kämpfe an, die mit Unterbrechungen acht Tage dauerten. "Bei dieser heißen Arbeit", schreibt Muralow, einer der Hauptleiter des Moskauer Aufstandes, "waren wir nicht immer und nicht in allem fest und entschlossen. Obwohl wir zahlenmäßig vielleicht zehnfach überlegen waren, zogen wir die Kämpfe eine Woche lang hin ... infolge unserer geringen Fähigkeit, Kampfmassen zu lenken, infolge deren Undiszipliniertheit und einer völligen Unkenntnis der Straßenkampftaktik, sowohl bei den Vorgesetzten wie bei den Soldaten." Muralow besitzt die Gewohnheit, die

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