Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
"die Taschen der Rotgardisten sind mit deutscher Mark angefüllt", "den Aufstand befehligten deutsche Offiziere" ... Die neue Macht mußte diesen Menschen erst ihre feste Hand zeigen, ehe sie begannen, an diese zu glauben. Die zügellosesten der Zeitungen wurden schon in der Nacht auf den 26. beschlagnahmt. Einige andere während des Tages konfisziert. Die sozialistische Presse blieb fürs erste geschont: man mußte den linken Sozialrevolutionären, aber auch einigen Elementen der bolschewistischen Partei, Zeit lassen, sich zu überzeugen von der Grundlosigkeit der Hoffnungen auf eine Koalition mit der offiziellen Demokratie.
Zwischen Sabotage und Chaos entwickelten die Bolschewiki ihren Sieg weiter. Der in der Nacht gebildete provisorische Kriegsstab ging an die Verteidiger Petrograds für den Fall eines Angriffs seitens Kerenskis. In die Telephonzentrale, wo ein Streik begann, wurden militärische Telephonisten abkommandiert. Den Armeen wurde vorgeschlagen, eigene Militärische Revolutionskomitees zu schaffen. An die Front und in die Provinz entsandte man haufenweise nach dem Siege frei gewordene Agitatoren und Organisatoren. Das Zentralorgan der Partei schrieb: "Der Petrograder Sowjet hat begonnen - die Reihe ist nun an den anderen Sowjets."
Im Laufe des Tages kam eine Nachricht, die besonders die Soldaten in Harnisch brachte: Kornilow ist geflüchtet. In Wirklichkeit war der hohe Arrestant, der in Bychow unter Schutz der ihm treu ergebenen Tekiner lebte und durch Kerenskis Hauptquartier über alle Ereignisse informiert wurde, am 26. zu der Einsicht gelangt, die Sache nehme eine ernste Wendung, und hatte ohne alle Schwierigkeiten sein Scheingefängnis verlassen. Die Verbindung zwischen Kerenski und Kornilow erhielt vor den Augen der Massen neuerdings anschauliche Bestätigung. Das Militärische Revolutionskomitee rief telegraphisch Soldaten und revolutionäre Offiziere auf, beide ehemaligen Höchstkommandierenden zu fangen und nach Petrograd zu bringen.
Wie im Februar das Taurische Palais, so wurde jetzt das Smolny Mittelpunkt aller Hauptstadt- und Staatsfunktionen. Hier tagten sämtliche Regierungsinstitutionen. Von hier ergingen die Befehle, und hierher kam man, sie in Empfang zu nehmen. Hier wurden Waffen angefordert, und hierher wurden die bei den Feinden konfiszierten Gewehre und Revolver gebracht. Aus verschiedenen Stadtteilen lieferte man Gefangene ein. Schon strömten, Recht suchend, Gekränkte herbei. Das bürgerliche Publikum und die verängstigten Droschkenkutscher machten um den Smolnybezirk einen großen Bogen.
Das Automobil ist ein viel echteres Zeichen der modernen Macht als Zepter und Krone. Während des Regimes der Doppelherrschaft waren die Automobile unter Regierung, Zentral-Exekutivkomitee und Privatbesitzern verteilt. Jetzt konzentrierten sich alle beschlagnahmten Kraftwagen im Lager des Aufstandes. Der Smolnybezirk ähnelte einer gigantischen Feldgarage. Die besten Automobile qualmten vom schlechten Brennstoff. Die Motorräder knatterten ungeduldig und bedrohlich im Halbdunkel. Die Panzerwagen heulten mit den Sirenen. Das Smolny schien Fabrik, Bahnhof und Kraftzentrale der Umwälzung.
Über die Trottoirs der anliegenden Straßen zogen Menschen im dichten Strom. An den Außen- und Innentoren brannten Holzfeuer. In ihrem flackernden Lichte prüften bewaffnete Arbeiter und Soldaten streng die Passierscheine. Einige Panzerwagen ratterten im Hofe mit den angestellten Motoren. Niemand wollte stillstehen, weder Maschinen noch Menschen. An jedem Eingang waren Maschinengewehre, versehen mit zahlreichen Patronenstreifen. Die endlosen, schwach erhellten, düsteren Korridore hallten von Stiefelgestampf, Stimmen und Rufen. Kommende und Gehende hasteten die breiten Treppen auf und nieder. Die dichte Menschenlava durchschnitten einzelne ungeduldig und herrisch, Arbeiter des Smolny, Kuriere, Kommissare, mit Mandaten oder Befehlen in der erhobenen Hand, die Flinte an einem Strick auf dem Rücken oder die Aktentasche unterm Arm.
Das Militärische Revolutionskomitee unterbrach die Arbeit nicht für eine Minute, empfing Delegierte, Kuriere, freiwillige Informatoren, aufopfernde Freunde und auch Gauner, entsandte in alle Winkel der Stadt Kommissare, drückte zahllose Stempel auf Befehle und Vollmachten - all das unter einem Kreuzfeuer von Auskünften, Eilnachrichten, Telephonläuten und Waffengeklirr. Erschöpfte Menschen, die seit langem nicht geschlafen und nichts mehr gegessen hatten, unrasiert, in
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