Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
dieses Verdikt gibt es keine Appellation, Die Bolschewiki und nur sie allein haben rechtzeitig erkannt, daß der Militärkoch des Radfahrerbataillons unermeßlich besser die Front verkörpert als alle die Charasch und Kutschin mit ihren verwesten Mandaten. In der Stimmung der Delegierten vollzieht sich eine bedeutsame Wendung. "Man beginnt zu fühlen", schreibt Suchanow, "daß die Sache glatt und glücklich verläuft, daß die von rechts angekündigten Schrecken gar nicht so gefährlich sind und daß die Führer vielleicht auch in allem anderen Recht behalten könnten."
Diesen Augenblick wählten die unglückseligen linken Menschewiki, um sich in Erinnerung zu bringen. Sie sind, wie sich herausstellt, noch nicht weggegangen. Sie haben in ihrer Fraktion nur die Frage beraten, was zu tun sei. In dem Bestreben, die schwankenden Gruppen mitzureißen, nennt Kapelinski, beauftragt, den angenommenen Beschluß dem Kongreß mitzuteilen, endlich laut das offenherzigste Argument für den Bruch mit den Bolschewiki: "Denkt daran, daß nach Petrograd Truppen unterwegs sind. Uns droht eine Katastrophe." Was, ihr seid noch hier? ertönt es von verschiedenen Seiten des Saales. Ihr seid doch schon einmal Weggegangen! Die Menschewiki bewegen sich im kleinen Häuflein dem Ausgang zu, unter verächtlichen Geleitworten. "Wir entfernten uns", trauert Suchanow, "und gaben den Bolschewiki die Hände völlig frei, indem wir ihnen die gesamte Arena der Revolution überließen." Nicht viel hätte sich geändert, auch wenn sie geblieben wären. Jedenfalls gehen sie auf Grund. Die Wellen der Ereignisse schließen sich unbarmherzig über ihren Köpfen.
Es wäre nun Zeit, daß der Kongreß sich mit einem Aufruf an das Volk wendet. Doch besteht der Verlauf der Sitzung wie früher nur aus Erklärungen außerhalb der Tagesordnung. Die Ereignisse wollen sich der Tagesordnung absolut nicht anpassen. Um 5 Uhr 17 Minuten, morgens besteigt schwankend vor Müdigkeit Krylenko mit einem Telegramm in der Hand die Tribüne: die 12. Armee entsendet dem Kongreß ihren Gruß und meldet die Bildung eines Militärischen Revolutionskomitees, das die Überwachung der Nordfront übernahm. Versuche der Regierung, bewaffnete Hilfe zu bekommen, sind an dem Widerstand der Truppen zerschellt. Der Hauptkommandierende der Nordfront, General Tscheremissow, hat sich dem Komitee untergeordnet. Der Kommissar der Provisorischen Regierung, Wojtinski, hat demissioniert und wartet auf den Nachfolger. Delegationen von den nach Petrograd entsandten Staffeln erklären eine nach der andern dem Militärischen Revolutionskomitee ihren Anschluß an die Petrograder Garnison. "Es trat etwas Unbeschreibliches ein", schreibt Reed, "Menschen weinten, einander umarmend."
Lunatscharski erhält endlich die Möglichkeit, den Aufruf an die Arbeiter, Soldaten und Bauern zu verlesen. Doch ist es nicht einfach ein Aufruf: schon durch die Darstellung dessen, was geschehen und was beabsichtigt ist, legt das in aller
Eile verfaßte Dokument den Grundstein zum neuen Staatsregime. "Die Vollmachten des versöhnlerischen ZentralExekutivkomitees sind zu Ende. Die Provisorische Regierung ist abgesetzt. Der Kongreß nimmt die Macht in seine Hände." Die Sowjetregierung werde einen sofortigen Frieden anbieten, den Boden den Bauern übergeben, die Armee demokratisieren, Kontrolle über die Produktion errichten, beizeiten die Konstituierende Versammlung einberufen, den Nationen Rußlands das Recht auf Selbstbestimmung garantieren. "Der Kongreß bestimmt: die ganze Macht an den Orten geht auf die Sowjets über." Jeder verlesene Satz löst im Saal Beifallssalven aus. "Soldaten! Seid auf der Hut! Eisenbahner! Haltet alle von Kerenski gegen Petrograd ausgesandten Staffeln auf! ... In euren Händen liegt das Schicksal der Revolution und das Schicksal des demokratischen Friedens!"
Als sie von Boden hören, horchen die Bauern auf. Statutengemäß vertritt der Kongreß nur die Arbeiter- und Soldatensowjets; doch nehmen an ihm auch Delegierte einzelner Bauernsowjets teil: jetzt verlangen sie, daß man auch sie im Dokument erwähne. Es wird ihnen sofort das Recht der beschließenden Stimme zugebilligt. Der Vertreter des Petro-grader Bauernsowjets unterschreibt "mit Händen und Füßen" den Aufruf. Das bis jetzt schweigsam gewesene Mitglied des Awksentjewschen Exekutivkomitees, Beresin, teilt mit, daß von den achtundsechzig Bauernsowjets, die auf eine telegraphische Umfrage antworteten, die Hälfte sich für den
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