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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Reeds Buch gibt es eine Schilderung, wonach die Führer der Bolschewiki angeblich am 21. Oktober eine "zweite historische Sitzung" gehabt hätten, in der, wie man Reed berichtete, Lenin gesagt haben soll: "Am 24. Oktober zu beginnen, ist verfrüht: für den Aufstand ist eine allrussische Basis notwendig, am 24. aber werden noch nicht alle Kongreß-Delegierten eingetroffen sein. Andererseits wird der 26. zu spät sein zur Einleitung der Aktion ... Wir müssen am 25. beginnen, am Eröffnungstage des Kongresses .,," Reed war ein außerordentlich feiner Beobachter, der es vermocht hat, auf die Seiten seines Buches Gefühle und Leidenschaften der entscheidenden Revolutionstage zu bannen. Ebendeshalb wünschte Lenin seinerzeit Reeds unvergleichlicher Chronik eine Verbreitung in Millionen Exemplaren in allen Ländern der Welt. Doch Arbeit im Feuer der Ereignisse, Notizen, aufgezeichnet in Korridoren, auf der Straße, an Wachtfeuern, im Fluge erfaßte Gespräche oder Bruchteile von Sätzen, die Notwendigkeit, Hilfe von Dolmetschern in Anspruch zu nehmen, all das machte einzelne Irrtümer unvermeidlich. Der Bericht über die Sitzung vom 21. Oktober bildet einen der krassesten Irrtümer in Reeds Buch. Die Erwägung der Notwendigkeit einer "allrussischen Sowjetbasis" für den Aufstand konnte keinesfalls von Lenin stammen, denn mehr als einmal hatte dieser die Jagd nach einer solchen Basis glattweg als "vollkommenen Idiotismus und vollkommenen Verrat" bezeichnet. Lenins konnte nicht sagen, am 24. sei es verfrüht, sich zu erheben, denn schon seit Ende September hatte er die Verschiebung des Aufstandes auch nur um einen Tag für unzulässig gehalten: eine Verspätung ist möglich, aber "Verfrühtes kann es in dieser Hinsicht jetzt nicht geben". Jedoch außer diesen an sich entscheidenden Erwägungen wird Reeds Bericht durch die einfache Tatsache widerlegt, daß am 21. keine "zweite historische Sitzung" stattgefunden hat: eine solche Beratung würde Spuren in Dokumenten und im Gedächtnis der Teilnehmer hinterlassen haben. Es gab nur zwei Beratungen unter Lenins Teilnahme: am 10. und am 16. Reed konnte das nicht wissen. Doch die danach veröffentlichten Dokumente lassen keinen Platz für die "historische Sitzung" vom 21. Oktober. Die Epigonenhistoriographie jedoch hat unbedenklich Reeds offenkundig irrige Angabe in sämtliche offiziellen Veröffentlichungen übernommen: dadurch wird das zeitliche Zusammentreffen der Leninschen Direktiven mit dem wirklichen Verlauf der Ereignisse äußerlich erreicht. Zwar bringen dabei die offiziellen Historiographen Lenin in unverständliche und unerklärliche Widersprüche mit sich selbst. Doch handelt es sich im Grunde ja gar nicht um Lenin: die Epigonen haben Lenin einfach in ihr eigenes historisches Pseudonym verwandelt und bedienen sich seiner ungeniert zur nachträglichen Bestätigung der eigenen Unfehlbarkeit.
    Die offiziellen Historiker gehen in der Anpassung der Tatsachen an die Marschroute noch weiter. So schreibt Ji-roslawski in seiner Geschichte der Partei: "In der Sitzung des Zentralkomitees vom 24. Oktober, der letzten vor dem Aufstande, war Lenin anwesend." Die offiziellen Protokolle, die eine genaue namentliche Aufzählung der Teilnehmer enthalten, beweisen, daß Lenin nicht anwesend war. "Lenin und Kamenjew wurden beauftragt, Verhandlungen mit den linken Sozialrevolutionären zu führen", schreibt Jaroslawski. Die Protokolle sagen, dieser Auftrag sei Kamenjew und Bersin erteilt worden. Aber auch ohne die Protokolle dürfte es klar sein, daß das Zentralkomitee mit zweitrangigen "diplomatischen" Aufträgen nicht Lenin bedacht hätte. Die entscheidende Zentralkomiteesitzung fand morgens statt. Lenin traf im Smolny erst in der Nacht ein. Ein Mitglied des Petrograder Komitees, Sweschnikow, erzählt, daß Lenin "am Abend (des 24.) sich entfernte und im Zimmer einen Zettel gelassen hatte, er sei dann und dann weggegangen. Als wir es erfuhren, ängstigten wir uns in der Seele um Iljitsch ..." Im Bezirk wurde bereits "spät abends" bekannt, daß Lenin sich ins Militärische Revolutionskomitee begeben hatte.
    Am seltsamsten jedoch ist, daß Jaroslawski ein politisch und menschlich höchst wichtiges Dokument unbeachtet läßt: den Brief an die Bezirksleiter, geschrieben von Lenin in den Stunden, wo der offene, Aufstand eigentlich schon begonnen hatte. "Genossen! Ich schreibe diese Zeilen am Abend des 24. ... Mit Aufbietung all meiner Kräfte möchte ich die Genossen davon überzeugen, daß

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