Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Mehrheit des Zentralkomitees beginnt. Diese Perspektive schreckt ihn. In der Sitzung vom 21. stellt Stalin die halbabgebrochene Brücke zum linken Flügel des Zentralkomitees wieder her, indem er vorschlägt, Lenin mit der Vorbereitung der Thesen über die Kernfragen des Sowjetkongresses zu beauftragen und Trotzki mit dem politischen Referat zu betrauen. Das eine wie das andere wird einstimmig angenommen. Nachdem er sich nach links gesichert hat, tritt Stalin im letzten Augenblick in den Schatten: er wartet ab. Alle neueren Historiker, beginnend mit Jaroslawski, umgehen sorgsamst die Tatsache, daß Stalin bei der Sitzung des Zentralkomitees vom 24. im Smolny nicht anwesend war und keine Funktion bei der Organisierung des Aufstandes übernahm! Indes charakterisiert diese dokumentarisch unwiderlegbar festzustellende Tatsache am allerbesten Stalins politische Persönlichkeit und Methoden.
Seit dem Jahre 1924 wurden unzählige Anstrengungen gemacht, den leeren Platz, den der Oktober in Stalins politischer Biographie darstellt, auszufüllen. Das geschah unter zwei Pseudonymen: "Zentralkomitee" und "praktisches Zentrum". Wir würden weder die Mechanik der Oktoberleitung noch die Mechanik der späteren Epigonenlegende verstehen, wollten wir nicht an die personelle Zusammensetzung des damaligen Zentralkomitees etwas näher herangehen.
Lenin, anerkannter Führer, Autorität für alle, doch, wie die Tatsachen beweisen, keinesfalls "Diktator" in der Partei, beteiligte sich vier Monate lang an der Arbeit des Zentralkomitees nicht unmittelbar und stand in einer Reihe taktischer Fragen zu diesem in scharfer Opposition. Als angesehene Führer galten im alten bolschewistischen Kern, in großem Abstande von Lenin, aber auch von jenen, die nach ihnen kamen, Sinowjew und Kamenjew. Sinowjew hielt sich, wie Lenin, verborgen. Vor dem Oktober standen Sinowjew und Kamenjew in entschiedener Opposition zu Lenin und der Mehrheit des Zentralkomitees: das entfernte beide aus der Front. Von den alten Bolschewiki tat sich schnell Swerdlow hervor. Doch war er damals noch Neuling im Zentralkomitee. Seine Begabung als Organisator entfaltete sich erst später, in den Aufbaujahren des Sowjetstaates. Dserschinski, der sich kurz vorher der Partei angeschlossen hatte, zeichnete sich durch revolutionäres Temperament aus, erhob jedoch keinen Anspruch auf selbständige politische Autorität. Bucharin, Rykow und Nogin lebten in Moskau, Bucharin galt als begabter, aber unzuverlässiger Theoretiker. Rykow und Nogin waren Gegner des Aufstandes. Lomow, Bubnow und Miljutin wurden bei Entscheidung großer Fragen kaum von jemand in Rechnung gezogen; außerdem arbeitete Lomow in Moskau, Miljutin war meist auf Reisen. Joffe und Uritzki waren durch ihre Emigrantenvergangenheit eng mit Trotzki verbunden und handelten im Einvernehmen mit ihm. Der junge Smilga arbeitete in Finnland. Zusammensetzung und innerer Zustand des Zentralkomitees erklären zur Genüge, weshalb der Parteistab vor Lenins Rückkehr an die unmittelbare Leitung auch nicht im entferntesten jene Rolle spielte und spielen konnte, die ihm später zuteil wurde. Die Protokolle beweisen, daß die wichtigsten Fragen: des Sowjetkongresses, der Garnison, des Militärischen Revolutionskomitees, nicht vorher im Zentralkomitee beraten wurden, nicht seiner Initiative entsprangen, sondern im Smolny, aus der Praxis des Sowjets entstanden und im Kreise der Sowjetführer, am häufigsten unter Swerdlows Mitwirkung ausgearbeitet wurden.
Stalin ließ sich im Smolny überhaupt nicht blicken. Je entschiedener der Druck der revolutionären Massen, je größer der Schwung der Ereignisse, um so mehr taucht Stalin unter, um so mehr verblaßt sein politischer Gedanke, um so schwächer wird seine Initiative. So war es im Jahre 1905. So im Herbst 1917. Das gleiche wiederholte sich auch später jedesmal, wenn große historische Fragen in der Weltarena auftauchten. Als es sich ergab, daß die Veröffentlichung der Protokolle des Zentralkomitees über das Jahr 1917 die Oktoberlücke in Stalins Biographie nur entblößte, schuf die bürokratische Historiographie die Legende vom "praktischen Zentrum", Die Aufklärung dieser in den letzten Jahren breit popularisierten Version bildet ein notwendiges Element der kritischen Geschichte der Oktoberumwälzung.
Bei der Beratung des Zentralkomitees im Lessnoy, am 16. Oktober, war eines der Argumente gegen die Forcierung des Aufstandes der Hinweis, daß "wir noch nicht mal ein Zentrum
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