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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Umsiedlungspolitik Atatürks. Erst das CHP-Programm von 1935 versprach: «Eines der Grundziele unserer Partei ist es, jeden türkischen Landwirt zum Eigentümer ausreichenden Grund und Bodens zu machen.» Ein Abänderungsgesetz zum Verfassungsartikel 74 sah 1937 endlich eine Entschädigung im Falle einer Enteignung vor, «um den Bauern zum Landeigentümer zu machen und die Forsten unter staatliche Verwaltung zu bringen». Damit war zumindest das verfassungsrechtliche Hindernis für eine Agrarreform auf Kosten größerer Grundbesitzer beseitigt. Die Versorgungsprobleme während des Zweiten Weltkriegs erlaubten aber keine energischen Eingriffe in die Agrarlandschaft. Zudem waren viele größere Grundbesitzer seit dem Unabhängigkeitskrieg mit Staat und Partei zu eng verbunden.
    Dennoch blieb eine gerechtere Landverteilung für İnönü gleichsam «auf Wiedervorlage», bis Landwirtschaftsminister Şevket Raşit Hatipoğlu, ein in Leipzig promovierter Agrarwissenschaftler, am 17. Januar 1945 einen Gesetzentwurf über die «Verteilung von Land an Bauern» vorlegte. Er begründete das Gesetz mit dem Absentismus reicher Agrarier, auch sei das Systemder Halbpächter (
ortakçılık
) ein Hindernis für den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt der Türkei. In den Kommissionssitzungen wurde Artikel 17 des Entwurfs heftig diskutiert. Dieser sah die Enteignung von Großbetrieben mit über 2000 Hektar hochwertigem bzw. 5000 Hektar minderwertigerem Land zugunsten von Bauern vor, die über keinen oder nur unzureichenden Ackerboden verfügten. Am Ende stimmten 345 Abgeordnete zu, 104 waren dem Votum ferngeblieben. Unter den Abwesenden befand sich auch der spätere Ministerpräsident Adnan Menderes.
    Menderes (1899/1900–1961) war der Sohn eines früh verstorbenen Beamten, hatte aber von seinem Großvater im südwestanatolischen Aydın beachtlichen Landbesitz geerbt, von dem er etwa 3000 Hektar bewirtschaften ließ. Als Kommissionsberichterstatter kannte er jedes Detail des Gesetzes. Es vergingen fast weitere zwei Jahre, bis es der Ministerrat mit stark verwässerten Ausführungsbestimmungen umsetzte. Von einer Enteignung des Großgrundbesitzes war nun nicht mehr die Rede. Während die CHP-Führung ursprünglich auf die Unterstützung kleiner Bauern und Landarbeiter bei anstehenden Wahlen gehofft hatte, setzte sie in der veränderten Nachkriegsatmosphäre wieder stärker auf größere Grundbesitzer. Es war eine ironische Wende, dass Ali Cevat Oral, ein Großagrarier aus der Çukurova und einer der erbittertsten Gegner der Reform, Mitte des Jahres 1948 zum Landwirtschaftsminister ernannt wurde. Von dem umstrittenen Artikel 17 war hinfort nicht mehr die Rede. Obwohl Betriebe mit mehr als 20 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche mit Ausnahme des Südostens selten sind – selbst in der Çukurova gehörten extrem große Güter zu den Ausnahmen –, blieb eine Agrarreform bis weit in die 1970er Jahre ein Hauptthema der türkischen Innenpolitik. Unter Ministerpräsident Süleyman Demirel wurde nach 1965 das Reizwort «Landreform» (
toprak reformu
) durch das moderate Konzept «Reform der Landwirtschaft» (
tarım reformu
) ersetzt.
    Die Auseinandersetzung um die Landreform war nicht die Ursache für das spätere Ausscheiden einer kleinen, aber gewichtigen Gruppe von Abgeordneten aus der Volkspartei, hat aberihre Entfremdung sicher beschleunigt. Entscheidender war die Wirkung der sogenannten «Viererdenkschrift» (
dörtlü takrir
) vom 7. Juni 1946. Sie entstand vermutlich als Gemeinschaftswerk der Abgeordneten Celal Bayar, Refik Koraltan, Fuat Köprülü und des eben genannten Adnan Menderes. In sehr allgemeiner Form forderte die Denkschrift die verfassungsgemäße Einhaltung demokratischer Spielregeln in Partei und Parlament. Dabei konnten sich die Autoren auf İnönü berufen, der wenige Wochen zuvor angekündigt hatte, «dass in unserem politischen und geistigen Leben die demokratischen Grundsätze einen breiteren Raum einnehmen sollen». Der Wunsch der vier Unterzeichner nach einer öffentlichen Aussprache über ihre Forderungen wurde abgelehnt. Nach einer siebenstündigen, sehr persönlich geführten Auseinandersetzung hinter geschlossenen Türen wurde das Anliegen insgesamt mit dem Hinweis, die CHP bedürfe keiner Reformen, zurückgewiesen. In der Folge legte Bayar sein Mandat nieder, die übrigen drei Dissidenten wurden Ende September aus der Volkspartei ausgeschlossen.
    Im Mai 1945 ließ İnönü, der für das

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