Geschichte der Tuerkei
1609 Dörfer mit 1849 Lehrern und 665 Gesundheitsbeamten, die daraus hervorgegangen waren, versorgt). Neben dem Vorwurf, die
Köy Enstitüleri
verbreiterten die Kluft zwischen Städtern und Landbewohnern, argumentierten die Gegner, dass die Koedukation im Widerspruch zu Werten der türkischen Familie stehe. Vor allem aber finde dort die kommunistische Ideologie eine Heimstatt. İnönü, der selbst zu den größten Förderern der Dorf-Institute gehört hatte, begleitete diesen «Rückbau» mit Stillschweigen. Im März 1950 kündigte er die Entfernung der «Sechs Pfeile» als Verfassungsgrundsätze an.
Das Präsidium für Religionsangelegenheiten erhielt eine neue Organisationsform, wobei ihm jetzt sämtliche Moscheediener unterstellt wurden. Ein überaus deutliches Signal an die Öffentlichkeit, die sich mit der Schließung der Grabbauten unter Atatürk nicht abfinden wollte, war die Regierungsvorlage zur Öffnung der Mausoleen «großer Männer». Am 1. September 1950 fand im Beisein des Präsidenten der Religionsbehörde die feierlicheWiedereröffnung der Türbe des Istanbuler Stadtheiligen Eyüp durch den Vali statt. Trotzdem fehlte auch bei einer «gewendeten» CHP-Regierung häufig das Gespür für die veränderte Stimmung im Land. Den religiösen Revisionismus der späten 1940er Jahre begleiteten Verdächtigungen und Verfolgungen von Schriftstellern und Akademikern, denen man kommunistische Neigungen unterstellte. Hasan Âli Yücel wurde 1947 beschuldigt, in seinem Amtsbereich Kommunisten Unterschlupf gewährt sowie die Dichter Sabahattin Âli und Nazım Hikmet protegiert und finanziell unterstützt zu haben. Nach einem Verfahren, das über drei Jahre dauerte und mehrere Instanzen durchlief, erwiesen sich alle Beschuldigungen als unwahr, doch hatten die Ankläger – größtenteils aus dem Umkreis des Rassisten Nihal Atsız (siehe S. 70) – die Genugtuung, das Bild des bedeutenden Reformers gründlich beschädigt zu haben. Ebenso spektakulär war ein Prozess, an dessen Ende die Akademiker Behice Boran, Niyazi Berkes und Pertev Naili Boratav aus der Universität Ankara ausgeschlossen wurden.
Die neue Westorientierung erfuhr durch die Einbeziehung der Türkei in den Marshall-Plan (4. Juli 1948) eine Beschleunigung. Als im Januar 1949 der indische Ministerpräsident Nehru die türkische Regierung aufforderte, an der New Delhi Conference über das niederländisch besetzte Indonesien teilzunehmen, lehnte diese mit dem Hinweis ab, dass die Türkei ein europäischer Staat sei. Konsequent war deshalb die Annahme der Einladung zum Europarat im selben Jahr.
Die Wahlen vom 14. Mai 1950 brachten der DP, die 80 % ihrer Kandidaten durch ihre örtlichen Organisationen bestimmen ließ, den erwünschten Erfolg, auch wenn das
winner-takes-all-
System die Proportionen zugunsten des Siegers stark verzerrte. Von 8,9 Millionen Berechtigten gaben beachtliche 7,9 Millionen (88 %) ihre Stimme ab. Die DP gewann mit ihrem 53,59 %-Anteil 408, die CHP mit 40 % nur 69 Sitze. Außerdem war die National-Partei (
Millet Partisi
) von Bölükbaşı mit ihm als einzigem Abgeordneten vertreten. Die christliche und jüdische Restbevölkerung Istanbuls repräsentierten drei Abgeordnete. Der Frauenanteilwar so gering wie in keiner der vorausgehenden Legislaturperioden; von den beiden großen Parteien war jeweils nur eine Frau aufgestellt worden. Das Wort von der «Revolution ohne Frauen» – so der Titel eines Buchs von Yaprak Zihnioğlu über die schon unter Atatürk verhinderte Selbstorganisation des weiblichen Teils der Gesellschaft – besaß schon damals Gültigkeit. Bereits 1951 kehrte die einzige CHP-Abgeordnete Tezer Taşkıran ihrer Partei den Rücken (1935–1939 hatte es immerhin 18 weibliche Deputierte gegeben). Die prominente Schriftstellerin Halide Edip Adıvar hatte als Unabhängige erfolgreich für İzmir kandidiert. Die erklärte Gegnerin des real existierenden Kemalismus sprach von einer «Weißen Revolution» und schlug vor, den 14. Mai zum Nationalfeiertag zu erklären. Die Militärführung war vom Sieg der DP alarmiert. Am Wahlabend soll der Chef des Generalstabs Nafız Gürman, wohl in Erwartung einer Aufforderung zum Putsch, İsmet İnönü am Telefon gefragt haben: «Mein Pascha, was befehlen Sie?» Die Befürchtungen des Militärs waren nicht grundlos. So pensionierte die neue Regierung zügig 275 von 300 Generälen. Celal Bayar wurde verfassungsgemäß von der Nationalversammlung zum Präsidenten der
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