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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Jahr 1947 Wahlen angekündigt hatte, aus Kalkül den Termin auf Juli des Jahres 1946 verlegen. Kurz zuvor nämlich, am 7. Januar 1945, hatten die vier Verfasser der «Denkschrift» beim Innenminister die Zulassung einer «Demokratischen Partei» (
Demokrat Partisi,
DP) beantragt. Durch einen vorgezogenen Wahltermin verminderten sich die Aussichten der neuen Partei, die erst ein Organisationsnetz aufbauen musste. Zum Vorsitzenden der DP, die zunächst vor allem ein Sammelbecken von frustrierten Volksparteianhängern war, wurde Celal Bayar gewählt. In der Partei fand man ehemalige
Serbest Fırka
-Leute (siehe S. 50), aber auch moderate Linke und Nationalreligiöse. In der Provinz blieb die Hälfte der tonangebenden Familien der CHP treu. Bayar nannte als wichtigsten Unterschied zur Volkspartei, dass man die Partei «von unten nach oben» aufbauen wolle. So entschieden die DP die Landreform bekämpfte – mit ihrer (nicht eingelösten) Bereitschaft, Gewerkschaften mit Streikrecht zuzulassen, behauptete sie sogar, «zwei Fingerbreit» links von der CHP zu stehen. Da sich die Volkspartei ihrerseits teilweise zur liberal-konservativeren Mitteöffnete, wurde der Unterschied zwischen den Rivalen noch geringer.
    Gegen den Widerstand der DP wurden noch vor den Parlamentswahlen zum 26. Mai 1946 Gemeindewahlen angesetzt. Ohne dass die DP es gewagt hatte, die Abstimmung offen zu boykottieren – İnönü hatte Nichtwähler als Vaterlandsverräter bezeichnet –, deutete man eine geringe Wahlbeteiligung als Votum gegen die bisherige Staatspartei. Am Ende gingen nur wenig mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zur Urne, in den Provinzzentren lag der Durchschnitt bei 64 %. Die DP konnte sich indes nicht erlauben, die zwei Monate später stattfindende Wahl zur Nationalversammlung ebenfalls zu missachten.
    Zum ersten Mal in der 25-jährigen Geschichte der Republik sollten türkische Männer und Frauen ihre Vertreter in direkter Wahl bestimmen. Das Mehrheitswahlsystem eignete sich besonders wegen seiner leichten Verständlichkeit und der vereinfachten Auszählung für ein Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung aus Analphabeten bestand.
    Das Wahlplakat der DP zeigte eine Stopphand und die Worte: «Es reicht! Jetzt hat die Nation das Sagen!» (
Yeter Söz Milletindir
). An dieser ersten direkten Wahl beteiligten sich am 21. Juli 1946 rund 75 % der Wahlberechtigten. İnönüs Schachzug führte zum gewünschten Ergebnis. Die DP konnte unter Zeitdruck nur 273 Kandidaten für die 465 Sitze der Nationalversammlung aufstellen. Am Ende ging die CHP mit 395 Sitzen als Sieger hervor, die Anzahl der DP-Sitze lag bei 65 (nach anderen Quellen 66), unabhängige Kandidaten erhielten 4 (bzw. 6 oder 7) Sitze. Im Gegensatz zu früheren Wahlen, bei denen nach dem Grundsatz «Offene Stimmabgabe, geheime Auszählung» verfahren wurde, galt jetzt umgekehrt «Geheime Abstimmung, öffentliche Auszählung». Fälschungen zugunsten der CHP waren trotzdem nicht ausgeblieben, da die Urnen weitgehend von Staatsdienern überwacht und am Ende alle Unterlagen verbrannt wurden. Als der unabhängige Politiker und Kleinbauernvertreter Osman Bölükbaşı gegen das Ergebnis protestierte, nahm man ihn in Haft.
    Der neue Regierungschef Recep Peker, der Stahlhelm-Kemalistder ersten Stunde, musste schon nach wenigen Monaten «aus Gesundheitsgründen» sein Amt an Hasan Saka abgeben. İnönü hatte erklärt, als Präsident der Republik würde er sich beiden Parteien gleichmäßig verpflichtet fühlen. Ende 1947 beherrschte das Thema Religionsunterricht den bisher längsten Parteitag der CHP. Zum ersten Mal wurde auf diesem Forum der Ruf nach «spiritueller Nahrung für die Jugend» laut, womit der Wiederaufbau des religiösen Erziehungswesens gemeint war. Die Regierung antwortete 1948 mit der Zulassung des fakultativen Religionsunterrichts in den Klassen 4 und 5 der Grundschulen, der dann ab Februar 1949 überall, jedoch außerhalb der Regelstunden, stattfand. Im folgenden Jahr wurde unter Ministerpräsident Şemsettin Günaltay, der trotz seiner CHP-Mitgliedschaft vielen modernen Kulturrichtungen skeptisch gegenüberstand, ein Gesetz über die Einrichtung einer Theologischen Fakultät an der Universität Ankara beschlossen. Der Nachfolger Hasan Âli Yücels im Amt des Unterrichtsministers, Reşat Şemsettin Sirer, hatte bereits den Abbau der erfolgreichen ländlichen Lehrerbildungsanstalten (
Köy Enstitüleri
) betrieben (im Schuljahr 1945–1946 wurden noch

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