Geschichte der Tuerkei
Republik gewählt. Die drei weiteren wichtigsten Staatsämter erhielten die anderen DP-Gründungsmitglieder: Adnan Menderes wurde Ministerpräsident, Refik Koraltan Präsident der Versammlung und Fuat Köprülü Außenminister. Bayar, Menderes und Koraltan behielten ihre Funktionen bis zum gewaltsamen Ende des «Menderes-Jahrzehnts» am 27. Mai 1960. Nachdem İnönü das Präsidentenamt in aller Form an Bayar übergeben hatte, übernahm er mit dem Vorsitz der CHP die Rolle des Oppositionsführers. Der Übergang zum Parlamentarismus war ohne nennenswerte Störungen geglückt.
Die neue Regierung versprach ein großes Maßnahmenpaket, um die Mängel des früheren Regimes zu korrigieren. Dazu gehörten Erleichterungen für ausländische Investitionen sowie eine Verminderung der Monopole. Besonderes Augenmerk verdiene die Landwirtschaft, in der 80 % der Bevölkerung beschäftigt seien, für die der Staat aber nur 3 % seines Budgets bereitstelle. Des Weiteren stellte sie die Achtung der Religions- undGewissensfreiheit in Aussicht sowie baldige Schritte in der Frage des Religionsunterrichts und Höhere Schulen zur Ausbildung von Religionsmännern. Im Abschnitt Außenpolitik des Regierungsprogramms wurde die Treue gegenüber dem Ideal der Vereinten Nationen, den befreundeten USA und den großen Verbündeten England und Frankreich genannt. Priorität hatte eine gesetzliche Regelung für die Wiederzulassung des arabischen Gebetsrufs, nachdem es noch 1947 zu Verhaftungen wegen Missachtung dieser Vorschrift gekommen war. Auch die CHP-Deputierten stimmten dem letzten Punkt zu, indem sie auf die Notwendigkeit einer «Entkriminalisierung» des Themas hinwiesen.
Am 25. Juni 1950 wurde das UN-Mitglied Türkei von der Überschreitung des 38. Breitengrads durch nordkoreanische Truppen überrascht. Daraufhin folgte die Regierung unverzüglich und als zweiter Staat nach den USA dem Ruf Südkoreas nach militärischer Unterstützung. Der Beschluss, eine Infanteriebrigade von 4500–5000 Mann zu entsenden und die Wehrpflicht auf zwei Jahre zu verlängern, erfolgte ohne Beteiligung des Parlaments und verletzte damit Artikel 26 der Verfassung, in dem die Kriegserklärung unter den Funktionen der TBMM aufgezählt wird. Die Korea-Brigade zeichnete sich vor allem in der Schlacht von Kunuri aus, in der sie chinesische Angreifer mehrfach zurückwarf. Bis zum Waffenstillstand am 27. Juli 1953 fielen 721 türkische Soldaten, 672 kehrten verletzt in die Türkei zurück, 1475 wurden in Korea behandelt, 234 gerieten in Gefangenschaft, 175 wurden vermisst. Gegner dieser ersten türkischen Kriegshandlung außerhalb der Grenzen des Nationalpakts (siehe S. 25) kommentierten die Intervention mit dem zynischen Reimspruch:
Minarede ezan, Kore’de kurban
(«Der Gebetsruf auf dem Minarett, das Schlachtopfer in Korea»).
Dass sich das neue Regime weder im Hinblick auf die Wählerbasis noch auf die Programmatik allzu stark von der Wende-CHP unterschied, wurde schon dargelegt. Als Regierungspartei verfolgte man freilich entschiedener wirtschaftsliberale Öffnungen. Als Beispiel kann das Investitionsförderungsgesetz genannt werden, das zu den Fünf-vor-Zwölf-Maßnahmen der alten Regierung gehört hatte, jetzt aber in einer Neufassung auch dasAuslandskapital anziehen sollte. Im Hochschulwesen fand ein radikaler Systemwechsel statt. Anstelle des bisher als Vorbild dienenden deutschen Modells wurden in Ankara (
Middle East Technical University, Hacettepe Üniversitesi
) und Erzurum (
Atatürk Üniversitesi
) nun Universitäten nach amerikanischem Muster gegründet.
Die ersten drei in der türkischen Publizistik wegen ihrer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung so bezeichneten «goldenen Menderes-Jahre» lagen zurück, als bei den Wahlen zur 10. Nationalversammlung im Herbst 1954 noch 58 % der Wähler für die DP stimmten. Die CHP, die zuvor zahlreiche wichtige Persönlichkeiten, unter ihnen prominente pensionierte Generäle, als Kandidaten verloren hatte, kam auf 35 %. Mit den
Fikir Kulüpleri
(etwa: «Klubs zum freien Gedankenaustausch») bildete sich im Wahljahr zum ersten Mal eine Studentenorganisation, die in Opposition zur Regierung stand.
Gewichtiger war die wachsende Unzufriedenheit im Militär, das rund 400.000 Mann unter Waffen hielt. Von den USA ausgemusterte Patton-Panzer (M 47) hatten zwar die zum Teil noch aus dem Ersten Weltkrieg stammende Feldartillerie ersetzt, doch schritt für viele Offiziere die Modernisierung zu langsam voran.
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