Geschichte der Tuerkei
Außenminister Molotov kleidete dem türkischen Botschafter gegenüber die unmissverständliche Forderung nach militärischen Stützpunkten an Bosporus und Dardanellen in den Wunsch nach einer «gemeinsamen Verteidigung der Meerengen» ein. Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli–2. August 1945) verlangte Stalin eine Revision des Vertrages von Montreux. Dies war keine neue Zumutung, sondern ein während der gesamten Kriegsjahre fortlaufender Begleitton gewesen. Die Vereinigten Staaten versprachen der Türkei in einer Note nach «Potsdam», sich im Fall einer neuen Meerengen-Konferenz – im Unterschied zu 1936 – daran zu beteiligen. Es kam jedoch nicht zu einem zweiten Montreux, weitere Vorstöße Moskaus im August und September 1946 blieben wegen der amerikanischen und britischen Ablehnung ergebnislos. Auch wenn es bisher keine auf Dokumente gestützten Beweise für die sowjetischen Forderungen gibt, wird man kaum – wie ein Teil der Forschung – von einer «abstrakten Drohung» sprechen dürfen, die erfunden wurde, um die Türkei näher an die Vereinigten Staaten heranzuführen.
Zu den sichtbaren Vorzeichen des Kalten Kriegs im östlichenMittelmeerraum zählte im Rückblick das Einlaufen der
USS Missouri,
die im Frühjahr 1946 den im Dienst verstorbenen türkischen Botschafter von Amerika nach Istanbul überführte. Weitere amerikanische und britische Flottenbesuche folgten. Die wachsende Bedeutung der Vereinigten Staaten wurde deutlich, als Großbritannien 1947 mitteilte, dass es die militärische Unterstützung Griechenlands und der Türkei aufgebe. Als Präsident Truman im März 1947 vom Kongress Mittel für diese beiden Staaten forderte, war der Startschuss für die Eindämmungspolitik (
containment policy
) der Nachkriegszeit gefallen. Die im Zusammenhang mit der «Truman-Doktrin» freigegebenen 100 Millionen US-Dollar für die Türkei (Griechenland erhielt das Dreifache) waren keine Entwicklungsgelder, sondern wurden zum größten Teil für militärische Zwecke wie den Bau der später allgemein «NATO-Straßen» (
Nato yolu
) genannten Verkehrswege verwendet. Erst die Einbeziehung der Türkei in den Marshall-Plan (Juli 1948) änderte die Schwerpunkte. Anfang 1950 erklärte der amerikanische Botschafter: «Der Nahe Osten ist sicher, solange die Türkei ihre Stellung hält.» US-Diplomaten fürchteten, sie könnte bei einer Zurückweisung durch die NATO ihre Haltung ändern und sich mit den Sowjets arrangieren. Das Argument, dass die Türkei weder am Atlantik liege noch sich am letzten Weltkrieg beteiligt habe, galt im Februar 1952 nicht mehr, als während der Lissabon-Konferenz sowohl die Türkei als auch Griechenland in die NATO aufgenommen wurden. Die Folge war eine beschleunigte Modernisierung der Streitkräfte. Zwischen 1946 und 1952 wurde die Türkei mit 562,9 Millionen US-Dollar unterstützt, 1953–1961 stieg die Summe auf 1567,6 Millionen. Dabei handelte es sich um reine Zuschüsse, erst in den Jahren 1962 bis 1974 wurde ein – allerdings geringer – Teil der weiterhin angestiegenen US-Hilfe als Kredit vergeben.
Die Bevölkerung erwartete nach dem Kriegsende vor allem eine Verbesserung ihrer alltäglichen Lage. Für die Dorfbewohner standen drei Themen im Vordergrund: der Ausbau des vor allem im Winter unbrauchbaren Wegenetzes, eine hygienische Trinkwasserversorgung und mehr Mittel für Zugtiere oder Traktoren. Noch war in vielen Dörfern der vor 6000 Jahrenerfundene Scheibenräderwagen (
kağnı
) in Gebrauch, bis in die 1970er Jahre sah man ebenso archaische Dreschschlitten. Die mit dem Marshall-Plan verstärkte Einführung von Traktoren kam vor allem den Bauern der Çukurova und anderen besonders begünstigten Gebieten zugute. Ein direkter Zusammenhang zwischen der «Traktorenrevolution» ab den 1950er Jahren und der Abwanderung in die Großstädte besteht nicht, denn die Landflucht war gerade dort am größten, wo die Einführung moderner Geräte den Vorzugslandschaften um 20 bis 30 Jahre hinterherhinkte. Utopisch hätte damals die Forderung nach Elektrizität geklungen. Noch im Jahr 1967 hatten von rund 36.000 Landgemeinden erst 823 Stromanschluss.
Eine Agrarreform erschien manchen als Zauberformel, um durch die Umverteilung von Grundbesitz Hunderttausenden von Landarbeitern und Pächtern zu ausreichendem Ackerboden zu verhelfen. Seit Mitte der 1920er Jahre gab es gesetzliche Initiativen, Staatsland an bedürftige Bauern zu verteilen. Sie waren jedoch anfangs eher Instrumente der
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