Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
Vom Netzwerk:
doch gleichzeitig beanspruchten Staaten auch weniger exklusive Macht für sich, da regionale Zusammenschlüsse entstanden, und Nichtregierungs-Akteure übernahmen Funktionen transnationaler Steuerung oder Governance. Gleichwohl kann es keinen Schlusspunkt für ein endgültiges Resümee geben; das lange Jahrhundert moderner Staatlichkeit fügt sich zum fortlaufenden Protokoll einer altehrwürdigen und dauerhaften Institution, die mitunter repressiv, mitunter emanzipatorisch, aber stets umkämpft und in Veränderung begriffen ist.

NACHBEMERKUNG:
Auf dem Weg zum Leviathan 3.0?
    In den 1980er Jahren verwandelten sich die kommunistischen Regime Osteuropas, der Apartheidstaat in Südafrika und die Militärdiktaturen in Lateinamerika erkennbar in Demokratien. Bei diesen bemerkenswert gewaltlosen Übergängen spielten viele Faktoren eine Rolle, ökonomische Belastungen ebenso wie eine zurückhaltende Staatsführung und Massenproteste. Die Sowjetunion hat diesen Weg zumindest eingeschlagen. Diese große Liberalisierungswelle ist Teil einer späteren Geschichte. Genährt wurde sie durch Prosperität und die allmähliche Erkenntnis, wie sehr private Erfüllung durch die staatlichen Erfordernisse und Ansprüche der Jahre zwischen 1914 und den 1950er Jahren zurückgestellt oder in eine andere Richtung gelenkt werden musste. Verbunden war sie möglicherweise mit dem fortschreitenden Aufkommen intimer Kommunikationstechnologien, die an die Stelle des Massenpublikums des Kinos und der Rundfunkansprachen der 1930er und 1940er Jahre traten: zuerst durch das Fernsehen im Familienkreis in den 1950er und 1960er Jahren, dann durch Transistor, Mikrochips und Softwareinnovationen, schließlich durch mobiles Telefonieren und das Internet. In den 1980er Jahren ließen die Wahlen in Europa und den USA ein allgemeines Muster erkennen, das sich nicht nur gegen missbrauchende und pathologische Staaten, sondern gegen staatliche Autorität ganz allgemein wandte. Konservative vertraten die Ansicht, der Staat sei der Feind der Freiheit, mochte er auch noch so demokratisch sein. Und es hatte den Anschein, als könnte man seine Funktionen «outsourcen», sie abwälzen auf das, was man dann als den Bereich der Zivilgesellschaft bezeichnen sollte.
    Sollte es einen Leviathan 3.0 geben, der in Wirklichkeit aber kein Leviathan im erkennbaren Sinne wäre, sondern eine Art funktionaler Zusammenschluss, wie ihn sich zahlreiche Denker im 19. und 20. Jahrhundert vorgestellt haben? In den 1970er und 1980er Jahren waren zahlreiche Beobachter, darunter auch der Verfasser dieses Beitrags, der Überzeugung, direkte, vom Staat beaufsichtigte Verhandlungen zwischen Interessengruppen wie etwa den Gewerkschaften und den Arbeitgebern – was man als Korporatismus oder Neokorporatismus bezeichnete – könnten eine bedeutsame Rolle für die staatliche Regulierung spielen. Eine solche Rolle jedoch, so die Theoretiker des Korporatismus, werde angeblich eher den freien Markt als den Staat ersetzen. Sie wurden dann vom Wiederaufleben des liberalen Marktes als Form ökonomischer Regulierung unter Ronald Reagan und Margaret Thatcher (und dann von linken Parteien fortgeführt) ebenso überrascht wie vom Zusammenbruch des Staatssozialismus, der tatsächlich eng damit zusammenhing.
    Seit den 1990er Jahren hat sich die Idee der Governance, der politischen Steuerung, als mögliche Alternative zum Staat herauskristallisiert. Sie geht von einem anderen Resultat aus als dem, was der Korporatismus leisten und erreichen sollte. Der Begriff der Governance ist darauf ausgerichtet, die Politik zu sublimieren, nicht die Ökonomie. Staatliche Ergebnisse sollten nicht durch Verhandlungen zwischen den Vertretern von Gesellschaftsklassen oder Interessengruppen zustande kommen; vielmehr implizierte Governance, dass sich zwischen unabhängigen Experten ein Konsens erzielen lässt, also zwischen Fachleuten, die nicht ihre eigenen Interessen vertreten, sondern das Gemeinwohl der Menschheit (oder mitunter auch der Tiere) im Sinn haben. Governance bedeutete, dass Regulierung aus den Empfehlungen von Nichtregierungsorganisationen und knowledge communities entsteht. Dieser Prozess war nicht per se demokratisch. Schmitt hatte in diesem Punkt durchaus recht: Demokratie beruhe auf einer gefühlten Gemeinschaft, also auf einer Gruppe von Menschen, die eine Identität für sich reklamierten (sei es territorial, sei es ethnisch oder sprachlich, sei es religiös). Doch bei Schmitt war damit implizit gemeint,

Weitere Kostenlose Bücher