Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
die gleiche Unterstützung. Eine frühe Linie in Peking wurde wieder abgebaut; die 1876 von den Briten eingerichtete Bahnverbindung von Shanghai ins nahe Wusong verletzte das Souveränitätsempfinden der Regierung zutiefst und wurde im Jahr darauf zerstört. Reformorientierte Beamte wussten, was auf dem Spiel stand, und skizzierten die Konsequenzen. Xue Fucheng berichtete verzweifelt, dass «alle europäischen Länder um Reichtum und Stärke wetteifern und rasch zu Wohlstand gelangen. Sie setzen auf Dampfschiffe und Eisenbahnen […] wenn das System der Eisenbahnen nicht genutzt wird, wird China niemals reich und stark sein.» Er begriff, welche Auswirkungen dies auf die Preise hatte: Amerika baue Eisenbahnen, sobald es noch unerschlossene Gebiete zu besiedeln gelte, und man könne von New York nach San Francisco zehnmal so schnell reisen, wie das unter chinesischen Bedingungen möglich wäre, und das zu einem Zehntel des Preises. Würde China jedoch die Eisenbahn übernehmen, «könnten entlegene Gegenden nahe rücken, das Stockende könnte zum Fließen gebracht werden, man könnte Kosten sparen und das Zerstreute ließe sich konzentrieren […].» Andere Beamte warnten, Japan verfolge diese Politik mit aggressiven Absichten.[ 65 ]
Eisenbahnen waren für private Investoren und für Regierende gleichermaßen interessant. Für Investoren waren sie vor allem dann attraktiv, wenn der Staat die Erträge garantierte, wie das in Kanada ab 1849 und in Frankreich zuerst unter Napoleon III. sowie später in den 1880er Jahren der Fall war. Eisenbahnen waren Großinvestitionen, doch sie waren auch ungeheuer profitabel, denn die nationalen Regierungen subventionierten das Projekt auf indirektem Wege, sei es durch Steuererleichterungen, Zinsgarantien für ausgegebene Anleihen oder Hilfe beim Landerwerb. Die USA und wiederum die Kanadier in ihrer zweiten Entwicklungsphase boten entlang der geplanten Strecke eine Quadratmeile große Grundstücke an, oft verbunden mit wertvollen Schürfrechten, aber auch dazu gedacht, Siedler anzulocken. Als Imperialmacht sollten die Briten in Indien aus Verteidigungsgründen wie auch zum Zwecke der Entwicklung Eisenbahnen bauen. Wer erst später ein Bahnnetz aufbaute, importierte Kapital und Technologie. Sultan Abdülhamid II. (r. 1876–1909) im Osmanischen Reich und Porfirio Díaz (der fast genau zur gleichen Zeit, nämlich von 1876/77 bis 1911, autoritärer Präsident Mexikos war) arbeiteten mit den Deutschen bzw. den Amerikanern zusammen.
Der Eisenbahnbau beeinflusste die internen politischen Koalitionen, die in Staaten mit repräsentativen Institutionen oder zumindest die Börsen regierten. Dank staatlicher Garantien waren die Eisenbahnkonsortien für zwei Gruppen von besonderem Interesse, nämlich für die, die das Finanzkapital kontrollierten, und für die Agrareliten, die den Wohlstand aus der Warenproduktion mobilisieren konnten. Noch vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg waren die Umrisse deutlich geworden, als die Illinois Central und Eisenbahninteressen 1858 den demokratischen Senator Stephen Douglas gegen seinen republikanischen Herausforderer Abraham Lincoln unterstützten. Douglas wollte, dass die Sklavenfrage in Kansas auf Eis gelegt werde, indem den Menschen dort die sogenannte home rule , also die Selbstverwaltung, erlaubt werde, wozu allerdings der letzte Territorialkompromiss, der 1850 ausgehandelt worden war, geändert werden musste, da dies die Voraussetzung dafür war, den Eisenbahnbau von Chicago Richtung Süden und Westen profitabel zu machen. Douglas und die Eisenbahnen siegten in dieser Frage zumindest vorläufig, was den zugrunde liegenden nationalen Konflikt um die Sklaverei allerdings nur noch weiter anheizte. Binnen eines Jahrzehnts verband die Eisenbahn Chicago und sein agrarisches Hinterland, doch das Land war nur noch tiefer gespalten.
Ironischerweise war es der ausgedehnte Eisenbahnbau des Nordens, der ihm dabei half, im großen Krieg zu siegen, den Lincoln gegen den abtrünnigen Süden führen sollte. Dank der Bahnlinien konnte der Norden ausreichend Truppen in die zentralen Gebiete Georgias, Tennessees und des Mississippi Valley senden und den Konföderierten langsam die Luft abdrücken. Der große Wettlauf bei den Eisenbahnen im Süden begann in den Jahren nach 1865, wenngleich die Krise von 1873 das Vorankommen unterbrach. Als die Arbeit daran wieder aufgenommen wurde, spielte das Kapital aus dem Norden eine sehr viel größere Rolle; insbesondere beherrschte
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