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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Mitte des Jahrhunderts. In einigen Fällen griffen bereits lange bestehende Nationen erneut zu den Waffen. Während die politische Öffentlichkeit in Mitteleuropa das Gefühl hatte, ihre Nationen bestünden bereits, zumindest auf geistiger Ebene – «Die Nation existiert auf die gleiche Weise wie das Individuum, und sie bedarf keines Volkes und keines Parlaments, um diese Tatsache zu verkünden», schrieb Francesco Crispi im März 1865 an Giuseppe Mazzini[ 67 ] –, hatten die langen Unabhängigkeitskämpfe der 1820er Jahre in Lateinamerika dafür gesorgt, dass Armeen, Kirchenmänner, Plantagenbesitzer und Viehzüchter erst noch kohärente Republiken bilden mussten. Dieser Prozess folgte eher auf einen Krieg, als dass er ihm voranging.[ 68 ]
    Zwischen Mitte der 1850er und Mitte der 1860er Jahre kämpften die Briten in Russland, warfen einen großen Aufstand in Indien nieder, waren in kriegerische Auseinandersetzungen an der Küste Chinas verwickelt und intervenierten immer wieder sporadisch in Lateinamerika. Die Franzosen kämpften im gleichen Krieg in Russland, waren am gleichen Feldzug in China beteiligt und entsandten dann ein großes Expeditionskorps nach Mexiko. Die USA, die in den 1840er Jahren in Mexiko einmarschiert waren, schickten Militärexpeditionen nach ganz Mittelamerika, entsandten Truppen nach Uruguay und Argentinien und «verheizten» ihre Männer und Energien schließlich im eigenen großen Bürgerkrieg. Viele der Kriege waren nationaler Natur, insofern Staatsgründer ihre neuen Territorien mit Hilfe des bewaffneten Kampfes konsolidierten, ob sie nun Widerstand von außen überwinden oder das Einheitsgefühl zu Hause stärken wollten. Andere waren interne oder «Bürgerkriege», gewaltsame Auseinandersetzungen um entscheidende Fragen wie die, wer im eigenen Land nach welchen Prinzipien herrschen sollte, nachdem der alte Kompromiss zerbrochen war. Einige Kriege zeigten Merkmale beider Arten. Die alten Landimperien – das Habsburgische und das Osmanische Reich – erwiesen sich als besonders anfällig, als sich die nationalstaatlichen Bestrebungen bei den Untertanenvölkern immer stärker regten. Diese geopolitischen Assemblagen waren in wiederkehrende Konflikte verstrickt, bei denen sich fremde Staaten mit einheimischen Nationalitäten zu Kampagnen gegen das imperiale Zentrum verbündeten. Russland hatte es da besser getroffen: Nach der anfänglichen Niederlage im Krimkrieg gegen Großbritannien, Frankreich und Savoyen konnte es auf Kosten der Osmanen und der zentralasiatischen Khanate expandieren.
    Europahistoriker spielen die Wirkung der Einigungskriege gern herunter, verglichen etwa mit dem Vierteljahrhundert Krieg, welches die Französische Revolution und die napoleonische Expansion zwischen 1792 und 1815 mit sich brachten, oder den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert. Es stimmt, dass die Generation nach 1815 weniger unter Kriegen zu leiden hatte, auch wenn die Kämpfe um Unabhängigkeit in Lateinamerika und um die europäischen Teile des Osmanischen Reiches in den 1820er und 1830er Jahren erneut aufflammten. Bewaffnete Konflikte, die man am treffendsten als europäische Expansionskriege bezeichnen könnte, führten zur französischen Eroberung Algeriens ab 1830 und zum Konflikt zwischen Briten und Chinesen in den Flussdeltas im Süden Chinas 1842 – dem sogenannten Ersten Opiumkrieg. Zur gleichen Zeit, als die Briten auf die chinesische Infragestellung ihrer Handelsrechte in Kanton reagierten, rückten sie in den westlichen Staaten des indischen Subkontinents Richtung Indus-Tal vor, obwohl sie mit einer Politik der Allianzen mit lokalen Fürsten und Rajahs ebenso viel erreichten wie mit der Androhung von Gewalt. Trotzdem trieb sie ihre Expansionspolitik in den Ersten Afghanisch-britischen Krieg von 1838 bis 1842. Die europäischen oder «weißen» Expansionskriege gegen die indigenen Stammesbünde in Amerika, Afrika und Zentralasien sollten in den 1860er und 1870er Jahren ihre Fortsetzung finden, weit entfernt von den Hauptstädten des Heimatterritoriums. Sie stellten eine Art von Übergangskonflikt dar: Diese Kriege sollten zum Teil die Macht der sich ausbreitenden Staaten erweitern, gleichzeitig aber war hier eine neue, genozidale Form von Angriffskrieg zu besichtigen, die im 20. Jahrhundert ihre Blütezeit erleben sollte. Die nationalen Einigungskriege waren zunehmend auch tribale Vernichtungskriege.

    Ein Höhepunkt der nationalen Einigungskriege: Deutsche Truppen beschießen Paris im

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