Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
Herbst 1870. Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg war der Deutsch-französische Krieg von 1870/71 der größte der nation-building -Konflikte, von denen die mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts geprägt waren. Der schnelle Sieg der Deutschen versetzte die Beobachter in Aufruhr und ermöglichte es Otto von Bismarck, die Architektur des geeinten Deutschen Reiches zu vollenden, während die besiegten Franzosen ihr Zweites Kaiserreich durch eine belagerte Dritte Republik ersetzten.
Natürlich gab es enorm viele Varianten im Hinblick auf Größe, Umfang, beteiligte Truppen und Dauer der Konflikte. Doch Teil dieser Kriege war stets das Bemühen, die Basis und die Organisation klassenspezifischer und nationaler Solidarität zu verändern. Dynastische Ansprüche, die in den europäischen Konflikten des 18. Jahrhunderts eine herausragende Rolle gespielt hatten, waren im Ersten Carlistenkrieg im Spanien der 1830er Jahre noch von Bedeutung und dienten im französisch-preußischen Krieg von 1870 als Vorwand, waren ansonsten jedoch überwunden. Einige Kriege erwuchsen aus Rebellionen oder Sezessionsbestrebungen; hinter anderen standen der Wunsch nach Annexion oder der Versuch, die territoriale Autorität zu zentralisieren. Sie wurden nicht immer in diesen Kategorien wahrgenommen, aber implizit oder explizit ging es genau darum.
Kritiker könnten hier natürlich einwenden: Sind nicht alle Kriege in gewissem Sinne nationale Einigungs- oder Rekonstitutionskriege? Selbstverständlich brachten die französischen Revolutionskriege und die napoleonischen Kriege bedeutsame Veränderungen in der Verwaltung von Napoleons Satellitenstaaten mit sich, insofern viele von den Vorzügen lernten, welche die nationale Mobilisierung in Frankreich zu besitzen schien. Die Kriege in Europa und Amerika zwischen 1792 und 1830 beendeten weitgehend die Territorialverwaltung von Seiten der Kirche, brachten neue, gebildete Eliten in staatliche Ämter, öffneten die höheren militärischen Ränge für begabte Kommandeure, verschafften den Briten die entscheidende Vormachtstellung zur See und mobilisierten riesige Armeen. Trotzdem wurden sie häufig als Folge radikaler und revolutionärer Umwälzungen oder später von Napoleons Unersättlichkeit gesehen; und an ihrem Ende stehe das große Bemühen, eine hierarchische Ordnung auf der Basis der klassenspezifischen und konstitutionellen Gleichgewichte des späten 18. Jahrhunderts und ein irgendwie notdürftiges Mächtegleichgewicht herzustellen. Die Herrscher, die am Ende auf dem Kontinent siegten, fassten sogar eine Restauration auf der Grundlage strenger christlicher Prinzipien ins Auge, die Heilige Allianz. Lediglich auf dem amerikanischen Kontinent konnten selbsternannte Militärbefehlshaber wie Andrew Jackson oder Simon Bolívar die Vorstellung einer restaurativen Agrarordnung überwinden und Volksrepubliken errichten.
Die nationalen Einigungskriege von Ende der 1840er bis Ende der 1870er Jahre hatten einige dieser Merkmale gemeinsam. In ihrem Zentrum aber standen kein Kaiser mit Hegemonialansprüchen und keine radikale Ideologie. Sie wurden zu Kriegen für oder gegen eine sich ausbreitende nationalstaatliche Ordnung, es war ihnen darum zu tun, das Werk der Säkularisierung zu vollenden oder Vielvölkerreiche in Frage zu stellen. Bei diesen Kriegen ging es darum, in einer Welt des Krieges und sich bekriegender Nationalstaaten zu überleben. Insofern sie zu internationalen Anstrengungen führten, die Gewalt zu lindern, wie etwa mit der Gründung von Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz 1863 (und kurz darauf dem Roten Halbmond), legten sie in erster Linie die Grundregeln für künftige Kriege fest. Ich habe im Folgenden einige dieser Kämpfe aufgelistet:
Nationale Einigungskriege [ 69 ]
1845–1847: Krieg um die Konsolidierung der Schweiz als Bundesstaat (Sonderbunds-Krieg).
1846–1848: Mexikanisch-amerikanischer Krieg um die Kontrolle des Nordens von Mexiko.
1848/49: Krieg um Norditalien – Piemont und Freiwilligenverbände gegen Österreich.
1849: Österreichisch-russischer Krieg zur Niederschlagung des ungarischen Aufstands gegen die Herrschaft der Habsburger.
1850–1864: Krieg zwischen dem abtrünnigen Taiping-Staat und dem chinesischen Kaiserreich.
1853–1856: Britisch-französischer Krieg zur Eindämmung der russischen Macht am Schwarzen Meer und in den osmanischen Gebieten. Beilegung mit dem Frieden von Paris.
1857/58: Niederschlagung militärischer Aufstände in
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