Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
frontier» –, sollte das 20. Jahrhundert mit den großen Kriegen (1894–1923) zwischen konkurrierenden Imperialmächten beginnen, von denen sich einige im Aufstieg zur Macht befanden, während andere, wie schon eine Generation zuvor, mit schweren inneren Krisen zu kämpfen hatten. Wir werden uns diesem Zeitraum in den nachfolgenden Abschnitten zuwenden.
Zwar mobilisierten die nationalen Einigungskriege der Jahrhundertmitte weniger Truppen und forderten bei den Beteiligten (mit Ausnahme des Amerikanischen Bürgerkriegs) weniger Opfer als die napoleonischen Kriege oder der Erste Weltkrieg, doch sie konnten sich hinziehen und waren oft mit Stellungskriegen, Belagerungen und ausgedehnten Frontabschnitten verbunden. Bismarck hatte mit dem Eisen genauso recht wie mit dem Blut. Die Sieger in diesen Auseinandersetzungen profitierten von den Ressourcen der industriellen Revolution: Hinterladern und den frühen Versionen schnell feuernder Repetiergewehre, tödlicherer Artillerie, gepanzerten Schiffen und den Kanonenbooten, die sich im Flusskampf als entscheidend erwiesen. Prototypen von U-Booten und frühe Torpedos (erfunden von einem britischen Ingenieur im österreichischen Triest) tauchten erstmals auf. Am wichtigsten aber waren der Ausbau und die Ausbreitung von Eisenbahnen, die massenhafte und relative schnelle Truppenbewegungen erlaubten. Das markierte den Unterschied zwischen dem Amerikanischen Bürgerkrieg und den deutschen Einigungskriegen einerseits und dem im vorangegangenen Abschnitt behandelten chinesischen Bürgerkrieg oder Taiping-Aufstand andererseits, der zwar viel früher begann, aber in etwa zur gleichen Zeit in den 1860er Jahren ein Ende fand. Zwar mündeten die Kämpfe in China in massenhafte blutige Massaker, doch wurden lediglich Truppeneinheiten zwischen 5000 und 15.000 Soldaten auf dem Yangzi ost- und westwärts transportiert; im Amerikanischen Bürgerkrieg mussten Truppen mit über 100.000 Mann mittels Eisenbahn, aber auch über Meeres- und Flussverbindungen befördert werden.[ 70 ]
Hellsichtige Militärattachés, die mitunter als Beobachter zu diesen großen Konflikten geschickt oder als Unterstützung abgestellt wurden, konnten eine weitere Tatsache erkennen: Zwar war man mit Hilfe der Eisenbahnen in der Lage, größere Truppenkontingente schneller zum Einsatz zu bringen, und die moderne Artillerie mochte die Befestigungen alten Stils reduzieren, doch die Verteidiger konnten sich hartnäckig eingraben, wie das Konföderierten-General Robert E. Lee in Virginia tat. Der brillante Sieg Preußens über Österreich im Sommer 1866 war in gewisser Weise irreführend. Zwar war der preußische Triumph bei Königgrätz entscheidend für den Aufstieg Preußens und den deutschen Nationalstaat, doch resultierte er aus der relativ «altbackenen» Taktik des Linearangriffs bzw. der Schlachtreihe, die gegen einen schwächlichen Gegner erfolgreich war. Einer der scharfsinnigsten Beobachter, der Erzherzog Albrecht, kam zu der Erkenntnis, dass es die Preußen verstanden hätten, die Kompaniechefs eigenverantwortlich handeln zu lassen, während die eigene imperiale Heeresorganisation Verantwortlichkeit auf allen Ebenen behinderte.[ 71 ] Die Eigeninitiative und die flexible Reaktion kleiner Einheiten zu fördern blieb denn auch der Schlüssel für Schlachtenerfolge von den früheren französischen Siegen unter Napoleon bis zu den späteren deutschen Triumphen 1940, und dieser Ansatz sollte auch die israelische Militärdoktrin noch lange nach 1945 beeinflussen.
Eine ebenso grundsätzliche Lektion, die erst allmählich gezogen wurde, lautete jedoch auch: Der moderne Krieg wird oftmals jenseits des Schlachtfelds entschieden, nämlich in den Organisationen, die für die staatliche Machtmobilisierung erforderlich sind. Die Preußen waren Wegbereiter des Generalstabs: eines militärischen think tank , dessen Offiziere sowohl als zentraler Planungsstab als auch als Einsatzführung für die Einheiten auf dem Schlachtfeld fungierten. Die zermürbende Art der Kriegsführung bedeutete auch, dass staatliche Einrichtungen – um Material zu beschaffen, um Transport, Versorgung und Waffenarsenale zu überwachen, Kredite und Finanzierung zu organisieren, medizinische Dienste einzurichten – gegründet oder erweitert werden mussten. Der Blutzoll, den die Projektile forderten, führte zu einer Neuorganisation der Militärhospitäler: Beispielhaft dafür stehen Florence Nightingales Arbeit für die britischen Truppen im Krimkrieg
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