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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Bürgerkrieg im November 1847 beginnen, der beinahe wie eine komische Oper wirkt: Sieben der überwiegend katholischen Schweizer Kantone, die ihren eigenen «Sonderbund» gegründet hatten, um sich der, wie sie es sahen, protestantischen Zentralisierung zu widersetzen, wurden von den protestantischen Truppen angegriffen und besiegt. Die siegreichen Invasoren hatten 60 Tote und 385 Verwundete zu beklagen, die geschlagenen Katholiken 26 Tote und 114 Verwundete. Die Truppen des Sonderbunds hatten sich 1845 zusammengetan gegen die Bestrebungen von Seiten der radikalen protestantischen Partei, die Verfassung der Konföderation zu stärken sowie katholische Klöster zu schließen und zu säkularisieren. Als der Kanton Luzern Jesuiten an seine höheren Lehranstalten berief, hatten protestantische Freischärler zu den Waffen gegriffen, woraufhin die Katholiken ihr Bündnis schlossen, und drei Jahre später kam es schließlich zum Krieg. Einheit und Neutralität der Schweiz waren in der europäischen Ordnung des Wiener Kongresses 1815 festgeschrieben worden, sodass eine Sezession keine wirkliche Alternative darstellte. Der Sieg der Protestanten führte jedoch zu einer Festigung der Konföderation und zum Aufstieg kaufmännischer und säkularer Kräfte.
    Die Kräftekonstellation in diesem Konflikt war nicht neu. Loyale Katholiken fühlten sich seit der Aufklärung und der Französischen Revolution in der Defensive gegen den säkularisierenden Staat. In Spanien gewannen die Liberalen, die in Cádiz 1812 eine Verfassung durchgesetzt hatten – die dann vom zurückgekehrten Bourbonenkönig Ferdinand VII. für ungültig erklärt wurde –, wieder an Einfluss, als Königin Christina als Regentin für ihre minderjährige Tochter Isabella 1833 den Thorn bestieg; das veranlasste die katholischen Traditionalisten in Navarra in den Westpyrenäen, zugunsten des Bruders des verstorbenen Königs zu den Waffen zu greifen. Der daraus resultierende Carlistenkrieg dauerte sechs Jahre und wurde zu einem zentralen Gegenstand europäischer Diplomatie. In Köln, das nach 1795 unter französischer Herrschaft stand und dann 1815 der Rheinprovinz Preußens zugeschlagen wurde, hatten kirchentreue Kräfte 1840 gegen den Versuch Berlins protestiert, einen willfährigen Erzbischof zu installieren. Die Konfliktkonstellation war vielsagend: Staatliche Anhänger einer säkularen oder protestantischen Politik provozieren einen papsttreuen Widerstand auf Seiten katholischer Traditionalisten (die Ultramontanisten genannt wurden, weil sie der Glaubensautorität jenseits der Alpen die Treue hielten).
    Mussten die entstehenden Nationalstaaten und die katholische Kirche also getrennte Wege gehen? Der bedeutendste und inspirierendste Prophet des Nationalismus in Italien, Giuseppe Mazzini, hatte die Nation als göttliche Vereinigung betrachtet, die durchaus mit religiösen Einrichtungen koexistieren konnte. Doch im Lauf der beiden folgenden Generationen sollte der kontinentaleuropäische Nationalstaat – ob im preußischen Deutschland, in der Dritten Republik, im Königreich Sardinien (auch als Savoyen oder Piemont geläufig) oder dann im geeinten Italien (das 1870 das Territorium des Kirchenstaates besetzte) – umgebaut, zentralisiert und säkularisiert werden, und zwar auf Kosten eines Papsttums, das sich zunehmend gegen den modernen Liberalismus und staatliche Bildung positionierte. In Mexiko sollten die gleichen Konflikte in epischem Maßstab ausgetragen werden. Kirchliche Ländereien stellten immer wieder eine Verlockung für die Staatskasse und potentielle bürgerliche Käufer dar: zuerst auf der Iberischen Halbinsel und in Iberoamerika in den 1760er Jahren, dann in Frankreich während der Revolution und in den deutschen Landen, Neapel und Spanien während der napoleonischen Besatzung, in Spanien erneut in den 1830er Jahren und im Piemont unter dem liberalen Cavour in den 1850er Jahren.
    Doch dabei ging es nicht nur um Grundbesitz. Trotz einiger romantischer Populisten wie Félicité Lamennais hatte sich der römische Klerus zunehmend in konservativen Haltungen verschanzt, insbesondere unter Papst Pius IX. (r. 1846–1878), der während der Revolution von 1848 aus Rom fliehen und dann mit ansehen musste, wie der Kirchenstaat (der sich über Mittelitalien bis nach Bologna und in die Emilia Romagna erstreckte) immer weiter vom neuen Königreich Italien annektiert wurde. 1864 sollte der päpstliche Syllabus errorum («Verzeichnis der Irrtümer») verfügen,

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