Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
beigetragen. Zu den Vereinbarungen der Berliner Konferenz gehörte eine internationale Überwachung der Schulden, die so genannte «Administration de la Dette Publique Ottomane» (1881).
Die Bemühungen des Sultans, seine Stellung durch die Entwicklung der arabischen Provinzen und eine Betonung seiner muslimischen Rolle zu festigen, sollten jedoch in den verbliebenen europäischen Regionen des Reiches für große Irritationen sorgen, wo lange Zeit die fähigsten Beamten und Soldaten zu finden waren. Rebellion und Morde heizten die Stimmung im ethnisch und religiös gemischten Mazedonien an, wo die benachbarten Balkanstaaten und die Europäer ihre Chance sahen. In Anatolien kam es zu Steuerrevolten. Die Monarchen Großbritanniens und Russlands, deren Länder jüngst erst ihre Interessensphären in Iran abgesteckt hatten, trafen sich im Juni 1908 in Reval, um, so glaubte man, über ein Eingreifen in Mazedonien zu diskutieren. Die demütigende Schwäche Istanbuls führte zu einer nationalistischen Reaktion unter den in Saloniki stationierten jungtürkischen Offizieren, die ein Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF) ins Leben riefen und Adülhamid mit einer Meuterei im Sommer 1908 zwangen, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen und das Parlament wieder zuzulassen; im Jahr darauf wurde der Sultan dann endgültig abgesetzt.[ 146 ] Sein Nachfolger blieb ein Monarch ohne Macht, er ernannte nur noch die Minister, die ihm die Parteien und die Militärs, die am letzten Staatsstreich beteiligt gewesen waren, in den letzten Akten des osmanischen Konstitutionalismus bis Mitte 1913 vorschlugen.
Die Anhänger des KEF verfolgten verschiedene Ziele: An erster Stelle stand vermutlich das Osmanentum oder eine Wiederherstellung der imperialen Kontrolle, wozu auch das verpflichtende Erlernen der türkischen Sprache gehörte; einige Jungtürken sprachen sich für eine Dezentralisierung und vielleicht sogar eine Aufspaltung des Reiches in ethnische Einheiten aus; andere propagierten die Idee einer nationalen Führungsrolle der Türken. Einige waren säkular und westlich orientiert; andere sprachen sich für eine stärkere Verpflichtung auf den Islam aus. Alle aber wünschten sich wieder eine kraftvolle Führung und ein Ende von abwartender Haltung, Korruption und Klientelwesen, die ihrer Ansicht nach das Erbe einer einstmaligen Großmacht zerstörten. Offene Wahlen im gesamten Reich erbrachten ein Parlament, das zur Hälfte aus Nicht-Türken bestand. Es gab dort zwar eine Mehrheit für das KEF, aber auch eine starke liberale Opposition, und die Vorbehalte gegen die Dominanz des Komitees nahmen zu. Nach der Ermordung eines oppositionellen Zeitungsjournalisten kam es Mitte April 1909 zu einem konterrevolutionären Aufstand, und das drohende Debakel für das KEF konnte nur dadurch abgewendet werden, dass Truppen des Komitees von Saloniki aus Richtung Hauptstadt marschierten und die Wiedereinsetzung der jungtürkischen Regierung erzwangen. Diese verlor ihre Macht jedoch rasch an das Militär, während sich die Parlamentsfraktion des KEF spaltete und eine wieder geeinte liberale Opposition bereitzustehen schien, um die Regierung von der Macht zu vertreiben, nicht zuletzt deshalb, weil diese durch die italienische Eroberung Libyens und einen Aufstand albanischer Muslime diskreditiert war. Seine Stärke in den Provinzen erlaubte es dem Komitee allerdings, das Parlament aufzulösen und 1912 einen überwältigenden Wahlsieg zu erringen, doch noch im gleichen Jahr musste die Regierung auf Druck eines Bündnisses von Militärs (der so genannten «Befreiungsoffiziere») zurücktreten. Der Sultan ernannte einen Wesir und einen Armeeminister, die den konservativen Militärs (unterstützt von den Liberalen) wohlgesonnen waren, und löste das vom KEF dominierte Parlament auf.
Zwei Monate später, im Oktober 1912, fielen Bulgaren, Serben, Griechen und Mazedonier über Montenegro her und hätten es beinahe geschafft, die türkischen Truppen (und Flüchtlinge) aus Europa zu vertreiben. Das Zerwürfnis der Mitglieder des Balkanbunds gab dem Emir die Chance, zumindest einen Küstenstreifen an der Ägäis westlich von Edirne zu retten, der bis heute zur Türkei gehört. Bemerkenswerterweise bot ausgerechnet die Krise der Balkankriege dem KEF die Möglichkeit, durch einen Staatsstreich und die Niederschlagung eines Gegenputsches im Frühjahr 1913 wieder an die Macht zu kommen. Die Ermordung des vom Komitee ernannten Großwesirs lieferte den Vorwand, um
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