Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
Vom Netzwerk:
eine autoritäre Herrschaft zu errichten und die liberale Opposition durch Verhaftungen, Schauprozesse und harte Strafen zu zerschlagen. Die Außenpolitik der KEF-Regierung war bestimmt von der opportunistischen Suche nach einem Verbündeten: Die Briten wiesen die Avancen zurück, während Wilhelm II. darauf einging – weil er davon träumte, das Kalifat würde die muslimischen Untertanen der Briten möglicherweise zur Revolte anstacheln. Generäle des KEF übernahmen das Kriegsministerium sowie die Marine und trieben das Osmanische Reich Ende 1914 in den Krieg und ein Jahr später zu dem berüchtigten Entschluss, die armenische Minderheit zu ermorden. Die Kadetten und Intellektuellen, die sich zehn Jahre zuvor zusammengetan hatten, um das Imperium zu erneuern, hatten es am Ende mit einem Triumvirat zu tun, welches das Osmanische Reich endgültig zerstören sollte.
    Es war die militärische Opposition, die der Türkei schließlich Stabilität brachte. Bemerkenswerterweise entwickelte sich die Armee, die während des Balkankriegs 1912 deutliche Auflösungserscheinungen gezeigt hatte – weil sie deutschen Beobachtern zufolge von Sultan Abdülhamid zu lange vernachlässigt worden war –, 1914/15 unter Mithilfe deutscher Militärberater zu einer relativ effizienten Truppe. Doch die Belastungen eines langen Krieges an vier Fronten (an den Dardanellen, im Kaukasus, in Mesopotamien sowie an der Küste Palästinas) forderten ihren Tribut. Das Osmanische Reich war nach dem Ende des Weltkriegs nur noch ein Rumpfstaat: Von einer ruinösen Inflation und Schulden geplagt, verschanzte sich der letzte Sultan kraftlos in Konstantinopel, während Griechen und Briten die Ionische Küste besetzten, die Italiener sich ihr Stück vom Kuchen sicherten, die arabischsprachigen Gebiete in britische und französische Provinzen aufgeteilt wurden, ein armenischer Staat und ein autonomes Kurdistan in Ostanatolien entstanden und die Dardanellen sowie die osmanischen Finanzen internationaler Kontrolle unterstanden.
    Angesichts der Demütigung durch den Vertrag von Sèvres konstituierte sich in Ankara ein nationalistisches Parlament – die Große Türkische Nationalversammlung –, das sich im Verlauf der folgenden drei Jahre die Anerkennung durch die Sowjetunion sicherte, armenisches Territorium zurückeroberte und im Westen ernsthafte Herausforderer für die Autorität Kemals ausschaltete. Mit den Franzosen einigte man sich über die syrisch-türkische Grenze, und 1922 besiegte Kemal die griechisch-britischen Truppen und erzwang 1923 den neuen Vertrag von Lausanne. Sultanat und Kalifat wurden getrennt, anschließend wurde verkündet, der Sultan habe sein Amt niedergelegt, weil er während der alliierten Eroberung Istanbuls in der Stadt geblieben sei, und das Sultanat wurde abgeschafft. Im April 1923 gründete Kemal die Volkspartei, die sich ein Jahr später als Republikanische Volkspartei neu organisierte, um der Bildung einer Opposition zuvorzukommen. Das Kalifat existierte nicht mehr lange, ebenso wenig die Religionsschulen.
    Die Nationalversammlung erklärte die Türkei offiziell zur Republik und wählte Kemal zum Präsidenten. Das Gesetz zur Vereinheitlichung des Bildungswesens etablierte einen säkularen Staat, auch wenn der Islam zur Staatsreligion erklärt wurde. Konservative und Traditionalisten widersetzten sich jedoch weiterhin den Reformen, die auch die Kleiderordnung und die Stellung der Frauen betrafen; und nachdem für kurze Zeit eine Opposition geduldet worden war, arbeitete Kemal Anfang der 1930er Jahre konzertiert darauf hin, die kemalistische Partei zum ausschließlichen Instrument staatlicher und gesellschaftlicher Veränderung zu machen. 1934 nahm Kemal den Beinamen Atatürk an, Vater der Türken, und im folgenden Jahr verschmolzen Republikanische Volkspartei und Staat theoretisch miteinander. Gleichwohl widerstand Atatürk der Versuchung, dem totalitären Modell zu folgen, das um ihn herum Triumphe feierte, und ließ Freiräume für privatwirtschaftliche Kapitalisten, doch sein Tod 1938 und der nahende Krieg ließen die Türkei in einen wenig stabilen Gleichgewichtszustand zwischen einer halb geduldeten Opposition und einer mächtigen, vom Militär unterstützten Staatspartei geraten.[ 147 ]

    Vom Imperium zur Nation: Mustafa Kemal im Jahr 1923. Kemal präsentiert sich hier als der erfolgreiche türkische Militärbefehlshaber, der das Ende des osmanischen Sultanats erzwungen und mit Frankreich und Großbritannien den

Weitere Kostenlose Bücher