Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
Kräfte (unter anderem der Kirche) Madero entmachtete (der nach seinem Sturz ermordet wurde), seinerseits aber Mitte Juli 1915 aufgab, noch vor dem angedrohten Vorstoß der Truppen unter Führung von Venustiano Carranza und Pancho Villa – des begabten Militärbefehlshabers in Chihuahua, der 1913 ein Programm zur Umverteilung von Landbesitz initiiert hatte. Im Oktober trafen sich die Abgesandten von Carranza und Villa auf dem Konvent von Aguascalientes, wo Villa Emiliano Zapata dazu überredete, seine Streitkräfte aus dem Süden ihrem Bündnis zu unterstellen, während er selbst sich im Gegenzug zu weiteren Landreformen verpflichtete, wie sie in Zapatas Plan von Ayala, dem umfassendsten Agrarprogramm der Revolution, skizziert waren. Zapata und Villa trafen sich Ende November 1914 als Revolutionshelden in Mexiko-Stadt, doch die strategisch entscheidende Vereinbarung zwischen Carranza und Villa schlug schon bald in erbitterte Gegnerschaft um. Der Konvent von Aguascalientes hatte beide dazu verpflichtet, ihre Streitkräfte aufzulösen und ihre eigene Kandidatur für das vakante Präsidentenamt zurückzuziehen. Jeder der beiden unterstellte dem jeweils anderen Arglist; 1915 schließlich waren ihre Truppen in die heftigsten Kämpfe des Revolutionsjahrzehnts verwickelt.
Gab es Fragen und Zielsetzungen, in denen Carranza und Villa unterschiedlicher Ansicht waren? Glaubt man dem Villa-Biographen Friedrich Katz, der sich schon lange mit der mexikanischen Revolution beschäftigt, so stritten sie sich vor allem um eine Frage, die schon im Jahrhundert zuvor Zentralisten und Föderalisten entzweit hatte: Carranza sprach sich für eine disziplinierte Herrschaftsstruktur und eine von der Hauptstadt ausgehende Kontrolle aus, während Villa einem improvisierten Regionalismus das Wort redete.[ 149 ] Im Jahr 1915 war Villa eher bereit, sich mit den Bemühungen von US-Präsident Wilson zu arrangieren, die Ereignisse in Mexiko zu kontrollieren und die dauerhafte Ölversorgung sicherzustellen. Doch Glück und Bündnisse konnten rasch wechseln. So nahmen Villas freundschaftliche Beziehungen zu den US-Vertretern in Mexiko und sein Schlachtenglück Ende 1915 eine böse Wendung. Obwohl Carranza ein erznationalistischer Gegner von Wilsons Besetzung von Veracruz 1914 gewesen war, unterstützte das Weiße Haus seine Präsidentschaft, nachdem Villa einige Überfälle auf US-Territorium verübt hatte und die USA in den Krieg mit Deutschland eingetreten waren. Auch Zapatas Bündnis mit Villa fand ein Ende, Carranza wurde 1917 zum Präsidenten gewählt und setzte eine Verfassung in Kraft; Ende 1920 dann folgte ihm sein militärischer Verbündeter Alvaro Obregón aus Sonora in diesem Amt und machte sich daran, die hoch verschuldete mexikanische Wirtschaft wieder zu konsolidieren und für eine Phase der Stabilisierung zu sorgen zu einer Zeit, da nach den globalen Turbulenzen der Jahre 1917 bis 1921 auch in Europa und seinen Kolonien allmählich wieder der bürgerliche Normalzustand einkehrte.
Obregón setzte die Verteilung von Hacienda-Land an kleinere Eigentümer oder gemeinschaftliche ejidos fort, allerdings recht selektiv, nachdem sein Programm etwa im Bundesstaat Morelos, der Heimat Zapatas, zu Unruhen geführt hatte. Er unterstützte auch die energischen Bildungsreformen von José Vasconselos, dem spiritus rector des Revolutionsstaats, der durch die Ausweitung der Schulbildung, Wandgemälde und die Mobilisierung populistischer Intellektueller mit dazu beigetragen hatte, den Mythos von der Verschmelzung indianischer und spanischer Kultur zu entwickeln. Obregóns Nachfolger Plutaro Elias Calles startete eine große Kampagne gegen den Klerus, die den Kämpfen ein Jahrhundert zuvor alle Ehre machte, und provozierte damit einen hartnäckigen pro-klerikalen Aufstand, die so genannte Guerra Cristera. Als seine vierjährige Amtszeit endete und durch die Wiederwahl Obregóns (der einen Tag später ermordet wurde) ein Linksruck drohte, gelang es Calles als dem inoffiziellen Oberhaupt des neuen Regimes, das zentrale Vehikel der Stabilisierung zu organisieren, den Partido Nacional Revolucionario (PNR), den Vorläufer der Partei der Institutionellen Revolution, die bis in die 1990er Jahre regieren sollte.[ 150 ]
Eine halbe Welt entfernt, in China, stürzte das Kaiserreich 1911 schließlich doch: nach siebzig Jahren voller Niederlagen gegen ausländische Mächte, erschöpfenden Rebellionen und dauerhaften Souveränitätsverletzungen, die in einer ganzen
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