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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Welle von Rückschlägen in den 1890er Jahren und einer lähmenden Politik des Kaiserhofs gipfelten. Die Niederlage gegen Japan 1895 und der erneute westliche Wettlauf um weitere Territorialzugeständnisse lösten am Ende eine breite, aber umstrittene geistige Öffnung aus; diese wurde jedoch durch einen Gegenputsch der Kaiserinwitwe gegen den jungen Kaiser und seine radikalen Berater gewaltsam erstickt, woraufhin der Hof die nationalistischen Organisationen der «Boxer» unterstützte, die das Botschaftsviertel in Peking belagerten und ein vereintes Eingreifen ausländischer Mächte provozierten. Gleichwohl waren die Jahre von 1898 bis zur endgültigen Abdankung der Qing-Dynastie eine Zeit außerordentlicher Reformbemühungen, die letztlich weder von konservativen Bürokraten noch von den Europäern im Zaum gehalten werden konnten. Das alte Prüfungssystem, das den Zugang der Elite zu den Herrschaftsfunktionen geregelt hatte, wurde 1905 abgeschafft; gleichzeitig verlangten die Reformer die Einrichtung einer Hierarchie lokaler Versammlungen sowie ein nationales Parlament.[ 151 ] An die Stelle der konfuzianischen Ideologien, auf die man bei früheren Reformversuchen Bezug genommen hatte, traten Vorstellungen von Modernisierung und einem darwinistischen nationalen Konkurrenzkampf, wie sie viele Chinesen bereits in Japan erfolgreich verwirklicht sahen. Ungeduldige Exilanten (Sun Yatsen) und hochrangige Militärs setzten gemeinsam in Gang, was sich – hundert Jahre nach der Revolution von 1911– als langfristige Entwicklungslinie betrachten lässt, die über die Republik (1912–1949), den verheerenden Krieg und Bürgerkrieg bis zu den enormen Kosten von Maos Revolution und Deng Xiaopings Nachahmung des Kapitalismus führte.[ 152 ]
    Das in Peking eingerichtete Parlament geriet unter den Einfluss von Yuan Shikai, einem begabten Administrator und Militärführer, der versuchte, den Kaiserthron für sich zu beanspruchen, darüber aber 1916 starb. Auf seinen Tod folgten ein gutes Dutzend Jahre voller Konkurrenzkämpfe und bestimmt vom Aufkommen mächtiger lokaler Generäle oder warlords , die de facto die Regierungskontrolle über ihr Territorium ausübten, «Steuern» eintrieben oder erzwangen, Bauernarmeen aufstellten und sich wechselnden «Cliquen» oder Bündnissen anschlossen; am längsten hielten sie sich in der Mandschurei, wo die Japaner seit ihren Kriegen mit China (1894/95) und Russland (1904/05) wichtige Stützpunkte und Eisenbahnlinien unterhielten. Die Japaner finanzierten den führenden Kriegsherrn im Norden, Zhang Zuolin, weil er sich ihrer Position fügte, doch nach einem gescheiterten Versuch, in Peking wieder eine zentralstaatliche Politik zu installieren, wurde er 1928 ermordet. Die Revolutionstruppen im Süden unter dem ambitionierten Jiang Kaishek errichteten ihre eigene Basis und übertrugen den Absolventen der neuen Militärakademie von Whampoa untergeordnete Machtpositionen. Jiang war mehr als nur ein General: Er erbte Sun Yatsens Guomindang (Nationale Volkspartei, GMD) und holte sich bei den russischen Bolschewiki Unterstützung und Rat, um eine autoritäre Partei aufzubauen. Die Führungsspitze der Bolschewiki in Moskau war heftig zerstritten in der Frage, ob man den Kommunisten in China (der KPCh) Anweisung erteilen sollte, mit Jiang zusammenzuarbeiten oder sich gegen ihn zu stellen. Stalin, der sich zu dieser Zeit zu Hause selbst als Nachfolger ins Spiel bringen wollte und gegen Trotzki und andere mögliche Konkurrenten, welche die KPCh zur Autonomie drängten, wehren musste, beharrte darauf, die Kommunisten sollten der GMD beitreten, was 1926/27 in eine Katastrophe mündete, denn als Jiangs Macht wuchs, stellte er sich gegen seine einstigen Bündnispartner und vernichtete Teile der Partei – der verbliebene Rest zog sich 1927 aus Shanghai zurück und marschierte schließlich in den 1930er Jahren rund 12.000 Kilometer bis ins Hauptquartier der Kommunisten in den Bergen von Shaanxi.
    Trotz der Zersplitterung, Gewalt und verwirrenden Ereignisfolge in diesem revolutionären Jahrzehnt bedeuteten die Turbulenzen mehr als nur die endgültige Auflösung einer riesigen staatlichen Struktur, die von ausländischen Mächten vernichtend geschlagen wurde und die immer weniger in der Lage war, eine verknöcherte Ideologie zu überwinden und das enorme Bevölkerungswachstum, ökologische Katastrophen sowie die Verarmung zu bewältigen. Ermöglicht wurde vielmehr auch der verspätete, dafür aber energische

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